VGH 2022/096 VGH 2022/098 BESCHLUSS Der Präsident des Verwaltungsgerichtshofes des Fürstentums Liechtenstein, Vaduz, lic.iur. Andreas Batliner, hat in den Beschwerdesachen zu VGH 2022/096 und VGH 2022/098 Beschwerdeführer und Antragsteller zu VGH 2022/096: | A
vertreten durch:
***
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Beschwerdeführerin zu VGH 2022/098: | Gemeinde B |
Beschwerdegegnerin: | C
vertreten durch:
***
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wegen | Ablehnung einer Richterin |
am 15. Februar 2023 entschieden: 1. | Die beiden Beschwerdeverfahren zu VGH 2022/096 und VGH 2022/098 werden zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Führender Akt ist jener zu VGH 2022/096. |
2. | Dem Antrag des Beschwerdeführers A vom 12. Dezember 2022, Richterin D im vorliegenden Beschwerdeverfahren für befangen zu erklären, wird stattgegeben. |
TATBESTAND | 1. | Mit Entscheidung vom 22. März 2022 lehnte das Amt für Bau und Infrastruktur das Gesuch der Beschwerdegegnerin vom 23. April 2021 auf Erteilung einer Baubewilligung für das Bauvorhaben Abbruch und Neubau Einfamilienhaus auf dem *** Grundstück Nr. *** ab. |
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| 2. | Dagegen erhob die heutige Beschwerdegegnerin am 07. April 2022 Beschwerde an die Beschwerdekommission für Verwaltungsangelegenheiten (VBK). |
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| 3. | Hierüber entschied die VBK in der personellen Besetzung von Mag.iur. Christine Reiff-Näscher als Präsidentin, M.A. HSG Thomas Nigg, LL.M. als Vizepräsident und Dr. Georges Baur, Mag.phil. Sonja Hersche und MLaw Tobias Beck als Mitglieder der VBK. Die VBK gab mit Entscheidung vom 19. Oktober 2022, VBK 2022/19 ON 15, der Beschwerde vom 07. April 2022 Folge und änderte die angefochtene Entscheidung des Amtes für Bau und Infrastruktur (nunmehr: Amt für Hochbau und Raumplanung) vom 22. März 2022 dahingehend ab, dass sie wie folgt lautet: "Der Einsprache von A wird keine Folge gegeben. Das Baugesuch vom 23. April 2021 wird unter Zugrundelegung der vorliegenden Plan- und Beschreibungsunterlagen gutgeheissen." |
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| 4. | Dagegen erhoben zum einen A am 22. November 2022 (zu VGH 2022/096) und zum andern die Gemeinde B am 01. Dezember 2022 (zu VGH 2022/098) Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. |
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| 5. | Der Verwaltungsgerichtshof teilte den Verfahrensparteien am 30. November 2022 mit, dass er über die Beschwerden in der richterlichen Besetzung von lic.iur. Andreas Batliner als Präsident und lic.iur. Adrian Rufener, Dr.iur. Esther Schneider, lic.iur. Marion Seeger sowie lic.iur. Daniel Tschikof als Richter des Verwaltungsgerichtshofes entscheiden wird. | | Der Verwaltungsgerichtshof teilte zudem wie folgt mit: | | Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass die Präsidentin der Beschwerdekommission für Verwaltungsangelegenheiten, Frau E, als Konzipientin und die Stellvertretende Präsidentin des Verwaltungsgerichtshofes, D, als Partnerin in derselben Rechtsanwaltskanzlei, nämlich in der Kanzlei F tätig sind. D fühlt sich in der vorliegenden Beschwerdesache nicht befangen. |
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| 6. | Am 12. Dezember 2022 stellte der Beschwerdeführer A einen Ablehnungsantrag gegen Richterin D, da im Hinblick auf eine mögliche Voreingenommenheit aufgrund derselben Kanzleiangehörigkeit ein sachlicher Grund vorliege, welcher an der richterlichen Unbefangenheit von Richterin D vernünftigerweise Zweifel entstehen lasse. | | Zu diesem Antrag äusserten sich weder die Beschwerdegegnerin noch die betroffene Richterin D. |
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ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE | 1. | Die beiden Beschwerdeverfahren zu VGH 2022/096 und VGH 2022/098 werden aus verfahrensökonomischen Gründen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. In beiden Verfahren geht es um dasselbe Baugesuch der Beschwerdegegnerin. |
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| 2. | Im Verwaltungsverfahren wie auch im Verwaltungsbeschwerdeverfahren steht jeder Verfahrenspartei das Recht zu, eine an sich zuständige Amtsperson bzw. einen an sich zuständigen Richter abzulehnen (Art. 12 Abs. 2 LVG). | | Richtet sich der Ablehnungsantrag gegen einen anderen Richter des Verwaltungsgerichtshofes als dessen Präsidenten (bzw. den im betreffenden Einzelfall zuständigen Vorsitzenden), entscheidet der Präsident des Verwaltungsgerichtshofes (bzw. der Senatsvorsitzende) über den Ablehnungsantrag (Art. 12 Abs. 3 LVG; Ziff. 2. der Geschäftsverteilung des Verwaltungsgerichtshofes vom 24.10.2022; LES 1998, 214; LES 2001, 5; VGH 2014/011) . | | Somit ist der hier erkennende Richter als Präsident des Verwaltungsgerichtshofes zuständig, über den Ablehnungsantrag vom 12. Dezember 2022 zu entscheiden. |
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| 3. | Die Ablehnungsgründe sind in Art. 7 LVG normiert. Demnach ist ein Richter unter anderem und insbesondere dann befangen, wenn ein zureichender Grund vorliegt, die Unbefangenheit des Richters in Zweifel zu ziehen (Art. 7 Bst. d LVG). Die Bestimmung von Art. 7 Bst. d LVG ist im Sinne von Art. 33 Abs. 1 LV und Art. 6 Abs. 1 EMRK und der dazu ergangenen Rechtsprechung zu interpretieren (Tobias M. Wille, Recht auf den ordentlichen Richter, in: Kley/Vallender, Grundrechtspraxis in Liechtenstein, Schaan 2012, S. 376 f.; LES 2017, 55 mwN). |
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| 4. | Der Präsident des Verwaltungsgerichtshofes entschied mit Beschluss vom 26. Februar 2020 zu VGH 2019/131 (veröffentlicht auf www.gerichtsentscheidungen.li) über einen Ablehnungsantrag gegen Richterin D in einer Sache, in welcher die VBK als Vorinstanz entschied und dabei E als (damalige) Vizepräsidentin der VBK mitwirkte. Er gab dem Ablehnungsantrag statt und begründete dies damit, dass ein Weisungsrecht eines jeden Rechtsanwaltes einer Rechtsanwaltsgesellschaft, wie von D als Partnerin der Kanzlei F, gegenüber einem Konzipienten, wie E als juristische Mitarbeiterin in der Kanzlei F, und eine gewisse berufliche und finanzielle Abhängigkeit des Konzipienten von der Rechtsanwaltsgesellschaft und - indirekt - von den Rechtsanwälten bestehe. Somit sei gerade anhand des Massstabes, den der EGMR mit seinem Urteil im Fall Steck-Risch vorgegeben habe, von einer objektiv begründeten Befangenheit der Richterin D auszugehen. | | Etwas mehr als ein Jahr später erkannte der Staatsgerichtshof mit Beschluss vom 11. Mai 2021 zu StGH 2020/027 (bisher nicht veröffentlicht), dass einem Antrag auf Ablehnung vonG als Präsident des Staatsgerichtshofes und (ehemaligem) Partner der Kanzlei F in einer Sache, in welcher die VBK unter dem Vorsitz von E über eine Verwaltungsbeschwerde entschieden hatte, nicht stattzugeben war. | | Aufgrund dieses Beschlusses des Staatsgerichtshofes hat der Präsident des Verwaltungsgerichtshofes seine Praxis gemäss seinem Beschluss vom 26. Februar 2020 zu VGH 2019/131 zu überprüfen. |
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| 5. | Der Staatsgerichtshof berücksichtigte in seinem Beschluss vom 11. Mai 2021, dass G seit dem 01. Januar 2021 nicht mehr als Partner der Kanzlei F, sondern als selbstständiger Rechtsanwalt beruflich tätig ist. | | Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall von jenem, den der Staatsgerichtshof zu beurteilen hatte. |
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| 6. | Der Staatsgerichtshof prüfte dennoch den Fall so, als ob G noch Partner der Kanzlei F wäre. Er bezog sich dabei - wie auch der Präsident des Verwaltungsgerichtshofes in seinem Beschluss vom 26. Februar 2020 zu VGH 2019/131 - auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im Fall Steck-Risch, der Liechtenstein betraf (EGMR 19.05.2005, Steck-Risch ua / Liechtenstein, Nr. 63151/00, in deutscher Übersetzung publiziert in LES 2006, 53). Darüberhinaus verwies der Staatsgerichtshof auf das Urteil des EGMR i.S. Wettstein gegen Schweiz vom 21. Dezember 2000, in welchem der EGMR klargestellt habe, dass Zweifel hinsichtlich der Unabhängigkeit und der objektiven Unparteilichkeit eines Richters entstehen könnten, wenn dieser Richter in einem verfahrensfremden Kontext einer der Parteien untergeben sei. Der Staatsgerichtshof wies jedoch darauf hin, dass in dem von ihm zu beurteilenden Fall Richter G nicht in einer abhängigen oder untergeordneten Stellung zu einer Prozesspartei stehe. Zudem sei es Richter G und dem Mitglied der VBK E nicht möglich, aufgrund ihrer Amtstätigkeiten einander Weisungen zu geben bzw. Einfluss auf eine Entscheidung zu nehmen. | | Diese Ausführungen des Staatsgerichtshofes sind zwar richtig, jedoch kommt es darauf an, ob eine Abhängigkeit zwischen einer Person, die in unterer Instanz entschieden hat, wie hier der Präsidentin der VBK E, und der Person, die in oberer Instanz in derselben Sache entscheidet, wie hier der Richterin des Verwaltungsgerichtshofes D, besteht. |
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| 7. | Dazu führte der Staatsgerichtshof aus, aus dem Angestelltenverhältnis von E bei der Kanzlei F folge, dass grundsätzlich sämtliche Partner - zu denen auch D gehört - gegenüber E schon aufgrund des Gesetzes (zumindest formell) weisungsbefugt seien. Damit bestehe der Anschein der beruflichen und finanziellen Abhängigkeit der Konzipientin E. Die Partner der Rechtsanwaltsgesellschaft würden darüber entscheiden, ob das Anstellungsverhältnis mit E Bestand habe oder allenfalls aufgelöst werde. Sie hätten auch wesentlichen Einfluss auf die Modalitäten dieses Anstellungsverhältnisses, wie den Lohn. Die in Liechtenstein geltende Kündigungsfreiheit biete E keine Sicherheit, dass sie nicht aus einem beliebigen Grunde, der theoretisch sogar mit ihrer Tätigkeit als Mitglied bei der VBK zusammenhänge, gekündigt werden könnte. Somit bestehe zur Rechtsanwaltsgesellschaft Kanzlei F und mittelbar zu deren Partnern (Gesellschaftern) ein finanzielles und berufliches Subordinationsverhältnis. Dieses vermöge eine mögliche Besorgnis der Befangenheit von - so der Staatsgerichtshof - G (als Partner der Kanzlei F) nicht generell objektiv zu beseitigen. | | Diesen Ausführungen des Staatsgerichtshofes tritt der Präsident des Verwaltungsgerichtshofes bei. |
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| 8. | Anschliessend erwog der Staatsgerichtshof jedoch, gegenständlich befinde sich lediglich E in einem (mittelbaren) wirtschaftlichen und rechtlichen Abhängigkeitsverhältnis zu G. Lediglich sie könnte aufgrund ihres Anstellungsverhältnisses von den Gesellschaftern der Kanzlei F wirtschaftlich (finanziell) und rechtlich (gesetzliche und vertragliche Treuepflichten als Arbeitnehmerin) abhängig sein. Demgegenüber sei G weder wirtschaftlich noch rechtlich von E abhängig. Ihn träfen als (mittelbaren) Arbeitgeber zwar arbeitsrechtliche Fürsorge- und Schutzpflichten gegenüber E. Aber dass hieraus eine wirtschaftliche oder rechtliche Abhängigkeit resultiere, sodass G als befangen anzusehen wäre, über eine Rechtssache zu entscheiden, in der in zweiter Instanz E als Mitglied der VBK mitentschieden habe, sei nicht zu erkennen. Wesentlich sei, dass derjenige Richter, der über eine Beschwerde entscheide, sich in einem Abhängigkeitsverhältnis oder Subordinationsverhältnis befinde. Dies treffe aber auf G nicht zu. Er befinde sich weder in einer beruflichen, organisatorischen oder finanziellen Abhängigkeit noch in einem Subordinationsverhältnis zu E. | | Nach Ansicht des Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes kann jedoch aus der vom Staatsgerichtshof dargestellten Vorgesetztenstellung von G gegenüber E - die ebenso in der Person von Richterin D besteht - nicht geschlossen werden, dass der "obere" Richter unbefangen ist. Besteht eine solche, wenn auch verfahrensfremde Abhängigkeit des einen Richters - hier von E - gegenüber dem anderen Richter - hier D -, stellt sich bei objektiver Betrachtung die Frage, ob die beiden Richter den Fall, den sie als Richter zu entscheiden haben, vorgängig zur ersten Entscheidung miteinander besprochen haben könnten. Aus objektiver Sicht ist eine solche Möglichkeit zu bejahen. Damit besteht auch die objektive Möglichkeit, dass der "obere" Richter - als Vorgesetzter in einem verfahrensfremden Kontext - dem "unteren" Richter dessen Entscheidung nahelegt (dies im Sinne einer verfahrensrechtlich nicht bindenden Weisung). Es besteht auch die Möglichkeit, dass die beiden Richter die unterinstanzliche Entscheidung vorweg besprechen und sich einigen. In beiden Fällen würde sich der "obere" Richter bis zu einem gewissen Grad an das, was er dem "unteren" Richter nahegelegt oder auf was er sich mit dem "unteren" Richter geeinigt hatte, gebunden fühlen. Damit bestünde keine Unvoreingenommenheit mehr. Bei einer objektiven Betrachtung aus dem Blickwinkel der Verfahrensparteien kann also nicht von einer Unbefangenheit des Richters, wie hier von Richterin D, gesprochen werden, wenn dieser Richter ausserhalb des Richterberufes, wie im vorliegenden Fall im Rahmen einer Rechtsanwaltskanzlei, Vorgesetzter des unteren Richters, wie hier der Präsidentin der VBK E, ist. |
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| 9. | Der Staatsgerichtshof erachtete in seinem Beschluss vom 11. Mai 2021 auch von Bedeutung, wenn auch in untergeordnetem Masse, dass in dem vom Staatsgerichtshof entschiedenen Fall G als Mitglied des Staatsgerichtshof nicht über ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung der VBK, sondern über eine Individualbeschwerde gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofes zu entscheiden hatte. Insoweit sah er einen Unterschied zur Sachlage im Fall Steck-Risch begründet. | | Damit nahm der Staatsgerichtshof eine gewisse Differenzierung zu Fällen, wie sie gegenständlich der Präsident des Verwaltungsgerichtshofes zu entscheiden hat, vor. |
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| 10. | Aus all diesen Gründen war dem Ablehnungsantrag des Beschwerdeführers A vom 12. Dezember 2022 stattzugeben. | | |
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Dieser Beschluss ist endgültig (Art. 12 Abs. 3 LVG). Vaduz, 15. Februar 2023 Verwaltungsgerichtshof Der Präsident lic.iur. Andreas Batliner |