VGH 2022/045 Der Verwaltungsgerichtshof des Fürstentums Liechtenstein, Vaduz, hat durch die Richter | lic.iur. Andreas Batliner, Präsident | | lic.iur. Marion Seeger | | lic.iur. Adrian Rufener | | Dr.iur. Esther Schneider | | lic.iur. Daniel Tschikof |
in der Beschwerdesache der Beschwerdeführerin: | du - die Unabhängigen Landstrasse 60 9490 Vaduz |
wegen | Nichtigerklärung einer Abstimmung |
gegen | Entscheidung der Regierung des Fürstentums Liechtenstein vom 24. Mai 2022, LNR 2022-834 BNR 2022/882 AP 123.4 |
in der nicht-öffentlichen Sitzung vom 19. August 2022 entschieden: 1. | Die Beschwerde vom 14. Juni 2022 gegen die Entscheidung der Regierung des Fürstentums Liechtenstein vom 24. Mai 2022, LNR 2022-834 BNR 2022/882 AP 123.4, wird als verspätet zurückgewiesen. |
2. | Die Kosten des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof trägt die Beschwerdeführerin. |
TATBESTAND | 1. | Am 24. November 2019 fand die Volksabstimmung zum Finanzbeschluss des Landtages vom 05. September 2019 über die Genehmigung eines Verpflichtungskredits für den Neubau eines Landesspitals und die Genehmigung der Umwidmung des Vaduzer Grundstücks Nr. 2506 vom Finanzvermögen in das Verwaltungsvermögen statt. | | 56.2% der in Landesangelegenheiten stimmberechtigten Landesangehörigen stimmten bei einer Stimmbeteiligung von 72.7% dem Finanzbeschluss des Landtages zu. |
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| 2. | Mit Schreiben vom 14. April 2022 stellte der politische Verein "du - die Unabhängigen", vertreten durch seine Vorstandsmitglieder A, B und C, bei der Regierung den Antrag, die Volksabstimmung vom 24. November 2019 für nichtig zu erklären. | | Das Schreiben vom 14. April 2022 ist am 19. April 2022 bei der Regierung eingegangen. |
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| 3. | Mit Entscheidung vom 24. Mai 2022, LNR 2022-834 BNR 2022/882, entschied die Regierung wie folgt: | | 1. | Der Antrag (...) vom 19. April 2022 auf Nichtigerklärung der Volksabstimmung vom 24. November 2019 über den Verpflichtungskredit für den Neubau eines Landesspitals und der Umwidmung des betreffenden Grundstücks (Abstimmungsbeschwerde) wird als verspätet zurückgewiesen. |
| | 2. | Die Beschwerdeführer sind schuldig, die Entscheidungsgebühr in der Höhe von CHF 300.- binnen 14 Tagen nach Eintritt der Rechtskraft bei sonstiger Exekution an die Landeskasse zu bezahlen. Die Rechnungsstellung erfolgt durch die Landeskasse. |
| | Diese Regierungsentscheidung vom 24. Mai 2022 wurde am 27. Mai 2022 bei der Post Vaduz hinterlegt und am 01. Juni 2022 behoben. |
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| 4. | Mit Schreiben vom 14. Juni 2022 erhob der Verein "du - die Unabhängigen", vertreten durch die Vorstandsmitglieder A, B und C, Vorstellung gegen die Regierungsentscheidung vom 24. Mai 2022. | | In der Vorstellung wird unter anderem wie folgt ausgeführt: Die Entscheidung wurde am 1. Juni 2022 zugestellt. Somit wird diese Vorstellung heute, am 15. Juni 2022, fristgerecht elektronisch eingereicht. Das Original wird nachgereicht (mit Schweizer Poststempel, da in Liechtenstein am Donnerstag, den 16. Juni Feiertag ist und es am Freitag, den 17. Juni in der Landesverwaltung eine "Feiertagsbrücke" gibt (...)). | | Die Vorstellung vom 14. Juni 2022 wurde am 15. Juni 2022 per E-Mail angemeldet und am 16. Juni 2022 bei der Post aufgegeben. |
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| 5. | Mit Entscheidung vom 28. Juni 2022, LNR 2022-1064 BNR 2022/1083, ist die Regierung auf die Vorstellung nicht eingetreten und hat die Rechtssache an den Verwaltungsgerichtshof weitergeleitet. |
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| 6. | Der Verwaltungsgerichtshof zog die Vorakten der Regierung bei, erörterte in seiner nicht-öffentlichen Sitzung vom 19. August 2022 die Sach- und Rechtslage und entschied wie aus dem Spruch ersichtlich. |
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ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE | 1. | Die Regierung hat mit Entscheidung vom 24. Mai 2022 den Antrag der Beschwerdeführerin vom 14. April 2022 als verspätet zurückgewiesen und deshalb musste und konnte die Regierung nicht über die materielle Frage der Gültigkeit der Volksabstimmung vom 24. November 2019 entscheiden. Im Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geht es somit lediglich um die Frage, ob die Regierung den Antrag zurecht aus dem formellen Grund der Verspätung zurückgewiesen hat. |
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| 2. | Gegenständlich ist jedoch vorab zu prüfen, ob die Beschwerde vom 14. Juni 2022 an den Verwaltungsgerichtshof rechtzeitig erhoben wurde (Art. 96 Abs. 1 LVG). | | Die Beschwerdefrist beträgt vierzehn Tage; sie beginnt mit der Zustellung der Entscheidung oder Verfügung zu laufen (Art. 91 Abs. 1 und 2 LVG). Aus dem Gesetz über die Ausübung der politischen Volksrechte in Landesangelegenheiten (Volksrechtegesetz; VRG) ergibt sich keine von der vierzehntägigen Beschwerdefrist abweichende Rechtsmittelfrist. | | Gemäss Art. 74 Abs. 1 VRG steht die Nichtigerklärung einer Abstimmung, unter Freilassung der Beschwerde seitens eines Stimmberechtigten an den Verwaltungsgerichtshof, der Regierung zu. Die Regierung kann die Abstimmung ganz oder teilweise nichtig erklären und hat in diesem Falle eine neue Abstimmung anzuordnen (Art. 74 Abs. 2 VRG). Aus diesen Bestimmungen ergibt sich, dass für die Nichtigerklärung einer Abstimmung erstinstanzlich die Regierung zuständig ist. Gegen die Regierungsentscheidung kann ein Stimmberechtigter Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erheben. Eine Beschwerdefrist wird jedoch nicht genannt. Art. 74 Abs. 3 VRG verweist sodann auf Art. 64 bis 66 VRG, soweit diese Bestimmungen nicht als offensichtlich unanwendbar zu gelten haben. Art. 64 bis 66 VRG regeln die Wahlanfechtung bei Landtagswahlen. Zuständig für die Entscheidung über die Gültigkeit der Landtagswahl ist der Staatsgerichtshof (Art. 64 Abs. 6, Art. 65 f. VRG). Auch aus Art. 64 bis 66 VRG ergibt sich somit keine spezialgesetzliche Beschwerdefrist. Insbesondere ist zu erwähnen, dass es sich bei der "Wahlbeschwerde" nach Art. 64 VRG nicht um ein Rechtsmittel gegen eine erstinstanzliche Entscheidung handelt, sondern um die Möglichkeit einer Wählergruppe, die Wahlvorschläge für die angefochtene Wahl rechtzeitig eingereicht hat, ein erst- und letztinstanzliches Verfahren vor dem Staatsgerichtshof einzuleiten. | | Somit konnte gegen die Regierungsentscheidung vom 24. Mai 2022 innert 14 Tagen ab Zustellung dieser Entscheidung Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden (Art. 74 Abs. 1 VRG i.V.m. Art. 91 Abs. 1 und 2 LVG). |
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| 3. | Zu prüfen ist, wann die Entscheidung vom 24. Mai 2022 zugestellt wurde. Aus dem Akt der Regierung ergibt sich, dass die Regierungsentscheidung am 27. Mai 2022 bei der Post Vaduz zur Abholung hinterlegt wurde und die Entscheidung am 01. Juni 2022 behoben wurde. Die Beschwerdeführerin geht davon aus, dass der 01. Juni 2022 das Zustelldatum ist. Dem ist aber nicht so. | | Die Zustellung behördlicher Dokumente wird durch das Gesetz über die Zustellung behördlicher Dokumente (Zustellgesetz; ZustG) geregelt (Art. 1 ZustG). Art. 19 ZustG über die Hinterlegung bestimmt, soweit gegenständlich relevant, wie folgt: | | 1. | Kann das Dokument an der Abgabestelle nicht zugestellt werden, so ist es im Falle der Zustellung durch einen Zustelldienst bei seiner zuständigen Geschäftsstelle, in allen anderen Fällen aber bei der zuständigen Gemeindeverwaltung oder bei der zustellenden Behörde zu hinterlegen. |
| | 2. | Von der Hinterlegung ist der Empfänger schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung einzulegen. Sie hat den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen.
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| | 3. | Das hinterlegte Dokument ist mindestens 14 Tage zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Dokumente gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des Art. 16 Abs. 3 gegenüber der Behörde glaubhaft macht, dass er nicht binnen drei Werktagen vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung mit dem auf den Wegfall des Hindernisses folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte.
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| | | | | | Im vorliegenden Fall wurde die Regierungsentscheidung vom 24. Mai 2022 bei der Post Vaduz hinterlegt und die Beschwerdeführerin von dieser Hinterlegung schriftlich verständigt. In der Verständigung wird die Postfiliale Vaduz als Ort der Hinterlegung bezeichnet sowie angegeben, dass das behördliche Dokument vom 27. Mai 2022, ab 14.00 Uhr, bis zum 10. Juni 2022 behoben werden kann. Ebenfalls enthält die Verständigung folgenden Hinweis: Auch wenn Sie das Dokument nicht abholen, können die Rechtswirkungen der Zustellung (z.B. der Beginn des Laufes von Fristen) eintreten: Grundsätzlich gilt das Dokument als an jenem Tag zugestellt, an dem es zum ersten Mal zur Abholung bereitgehalten wird. Anderes gilt nur dann, wenn Sie gegenüber der Behörde glaubhaft machen, dass Sie aufgrund eines Hindernisses (z.B. wegen Urlaubs oder Krankenhausaufenthalts) nicht binnen drei Werktagen vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnten. In diesem Fall gilt das Dokument nur dann als zugestellt, wenn das Hindernis spätestens am vorletzten Tag der Abholfrist weggefallen ist und das hinterlegte Dokument am folgenden Tag behoben werden könnte. Sollte die Abholfrist bei Kenntnisnahme von dieser Verständigung schon abgelaufen sein, setzen Sie sich bitte umgehend mit dem Absender in Verbindung! | | Die Regierungsentscheidung wurde erstmals am 27. Mai 2022 zur Abholung bereitgehalten und gilt somit als an diesem Tag zugestellt (Art. 19 Abs. 3 ZustG). Dass die Beschwerdeführerin aufgrund eines Hindernisses nicht binnen drei Werktagen vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, wird nicht vorgebracht. |
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| 4. | Da die Regierungsentscheidung vom 24. Mai 2022 am 27. Mai 2022 durch Hinterlegung zugestellt wurde, begann die Beschwerdefrist am 28. Mai 2022 zu laufen (§ 125 Abs. 1 ZPO) und endete am 10. Juni 2022. Die Beschwerde vom 14. Juni 2022, respektive Beschwerdeanmeldung vom 15. Juni 2022 und die Beschwerdeausführung vom 16. Juni 2022, ist somit verspätet und war daher spruchgemäss zurückzuweisen (Art. 96 Abs. 3 und 5 LVG). |
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| 5. | Die Kostenentscheidung stützt sich auf Art. 41 Abs. 1 i.V.m. Art. 35 Abs. 1 LVG. Da die Beschwerdeführerin mit ihrer Beschwerde nicht durchgedrungen ist, hat sie die Kosten des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof zu tragen. Die Gerichtsgebühren in Höhe von CHF 630.00 hat die Beschwerdeführerin am 21. Juli 2022 entrichtet. |
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Dieses Urteil ist endgültig. Vaduz, 19. August 2022 Verwaltungsgerichtshof Der Präsident lic.iur. Andreas Batliner |