StGH 2022/099 Der Staatsgerichtshof als Verfassungsgerichtshof hat in seiner nicht-öffentlichen Sitzung vom 14. März 2023, an welcher teilnahmen: Präsident Dr. Hilmar Hoch als Vorsitzender; stellvertretender Präsident lic. iur. Christian Ritter, Prof. Peter Bussjäger, lic. iur. Marco Ender und Prof. August Mächler als Richter sowie Dr. Robin Schädler als Schriftführer in der Beschwerdesache Beschwerdeführerin: | A
vertreten durch:
*** |
Beschwerdegegner: | B
vertreten durch:
*** |
Belangte Behörde: | Fürstliches Obergericht, Vaduz |
gegen: | Beschluss des Obergerichtsvom 11. Oktober 2022, 06 PG.2021.100-37 |
wegen: | Verletzung verfassungsmässig und durch die EMRK gewährleisteter Rechte (Streitwert: CHF 3‘000.00) |
zu Recht erkannt: 1. | Der Individualbeschwerde wird Folge gegeben. Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Beschluss des Fürstlichen Obergerichts vom 11. Oktober 2022, 06 PG.2021.100-37, in ihren verfassungsmässig und durch die EMRK gewährleisteten Rechten verletzt. |
2. | Der angefochtene Beschluss des Fürstlichen Obergerichts vom 11. Oktober 2022, 06 PG.2021.100-37, wird aufgehoben und die Rechtssache unter Bindung an die Rechtsansicht des Staatsgerichtshofes zur neuerlichen Entscheidung an das Fürstliche Obergericht zurückverwiesen. |
3. | Der Beschwerdegegner ist schuldig, der Beschwerdeführerin die Kosten ihrer Vertretung von CHF 959.60 binnen vier Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. |
4. | Der Beschwerdegegner ist schuldig, die Gerichtsgebühren von CHF 600.00 binnen vier Wochen bei sonstiger Exekution an die Landeskasse zu bezahlen. |
5. | Die Landeskasse hat der Beschwerdeführerin die mit Valuta vom 11. Januar 2023 bereits bezahlten Gerichtsgebühren von CHF 600.00 zurückzuerstatten. |
SACHVERHALT | 1. | Mit Beschluss vom 17. Dezember 2021 (ON 19) entschied das Landgericht hinsichtlich des Verfahrenshilfeantrags von A (Beschwerdeführerin) wie folgt: | | "1. A wird mit Wirksamkeit vom 27.07.2021 die Verfahrenshilfe im vollen Umfang gemäss § 64 Abs 1 ZPO gewährt und ihr ein Rechtsanwalt als Verfahrenshelfer zur Vertretung vor dem Gericht beigegeben. | | 2. Die Bestellung eines Rechtsanwalts zum Verfahrenshelfer erfolgt durch die Rechtsanwaltskammer (§ 67 ZPO, Art 28 RAG). | | 3.1 Die Verfahrenshilfe geniessende Partei hat während des Verfahrens (ab Fortsetzung) für die Deckung der Beträge, von deren Berichtigung sie einstweilen befreit ist, einschliesslich der Entlohnung des Verfahrenshelfers, eine monatliche Rate in Höhe von CHF 500.00 zu zahlen (§ 70a Abs 1 iVm § 71 Abs 1 ZPO). | | Die Monatsrate ist jeweils zum 5. des Monats, erstmals am 5. des Monats nach dem Zeitpunkt der Rechtskraft dieses Beschlusses, zur Zahlung fällig. Die Monatsrate ist auf das Konto *** zu leisten. | | 3.2 Wenn die die Verfahrenshilfe geniessende Partei mehr als drei Monate mit der Zahlung einer Rate im Rückstand ist, wird ihr die Verfahrenshilfe von Amts wegen zur Gänze entzogen (§ 70a Abs 2 ZPO). In diesem Fall hat die Partei die im § 64 Abs 1 ZPO genannten Beträge, von deren Bestreitung sie einstweilen befreit gewesen ist, insoweit zu entrichten bzw. zu ersetzen und über Antrag die restliche Entlohnung des ihr zur Verfahrenshilfe beigegebenen Rechtsanwalts nach dem Tarif zu bezahlen (§ 68 Abs 2 ZPO).“ | | 1.1 | Das Landgericht traf hierzu folgende Feststellungen: | | Die Beschwerdeführerin sei IV-Rentnerin (85%) und erhalte monatlich CHF 3‘016.00 aus IV-Rente und CHF 1‘322.00 aus Vorsorge, insgesamt CHF 4‘338.00. Weiter erhalte sie Kinderzulagen von monatlich CHF 280.00 und eine Alleinerziehendenzulage von monatlich CHF 110.00. Sie verfüge über Barvermögen von ca. CHF 60.00 und Bankvermögen von CHF 8‘360.00. Sie besitze ausserdem zwei Occasionsfahrzeuge: Einen ***, Inverkehrssetzung 2013, Kaufpreis CHF 3‘500.00, und einen ***, Inverkehrssetzung 1998, Kaufpreis CHF 7‘000.00. Sie bezahle eine monatliche Miete für eine 5,5 Zimmerwohnung inkl. Nebenkosten von CHF 2‘100.00. Über weiteres Vermögen verfüge sie nicht. Schulden habe sie keine. |
| | 1.2 | In rechtlicher Hinsicht führte das Landgericht unter anderem wie folgt aus: | | Im Hinblick auf die festgestellten Einkommens- und Vermögensverhältnisse sei die Bedürftigkeit der Beschwerdeführerin im Sinne des § 63 ZPO grundsätzlich zu bejahen. Auch wenn der der Beschwerdeführerin nach Abzug der Miete für den Lebensunterhalt verbleibende Betrag von rund CHF 2‘628.00 (CHF 3‘016.00 + CHF 1‘322.00 + CHF 280.00 + CHF 110.00 - 2‘100.00) den Grundbedarf gemäss Verordnung zum Sozialhilfegesetz in Höhe von CHF 1‘716.00 übersteige (Art. 20a SHV), sei bei Berücksichtigung der voraussichtlichen Verfahrenskosten davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin ausser Stande sei, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhaltes zu bestreiten. | | Im Sinne von § 70a Abs. 1 ZPO sei jedoch eine Ratenzahlung anzuordnen. Ausgehend von den festgestellten Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Beschwerdeführerin und des der Beschwerdeführerin nach Abzug von Miete verbleibenden, den Grundbedarf laut Sozialhilfeverordnung klar übersteigenden Betrages scheine eine Monatsrate von CHF 500.00 angemessen. |
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| 2. | Der gegen die Spruchpunkte 3.1 und 3.2 des Beschlusses des Landgerichts vom 17. Dezember 2021 mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2021 (ON 20) erhobene Rekurs wurde dem Obergericht nachträglich von der neu zuständigen Pflegschaftsrichterin am 28. Juli 2022 vorgelegt (ON 34). |
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| 3. | Mit Beschluss vom 11. Oktober 2022 (ON 37) gab das Obergericht dem Rekurs der Beschwerdeführerin keine Folge. Er begründete dies unter anderem wie folgt: | | 3.1 | Nach den unbekämpft gebliebenen Feststellungen des Landgerichts (ON 19, S. 3) sei von einem Gesamteinkommen der Beschwerdeführerin von CHF 4‘728.00 auszugehen. |
| | 3.2 | Zwar sei der Beschwerdeführerin grundsätzlich beizupflichten, dass es nicht nur bei der Gewährung der Verfahrenshilfe, sondern auch bei der Festsetzung der damit verbundenen Ratenzahlungen auf den notwendigen Unterhalt im Sinne des § 63 Abs. 1 ZPO ankomme (LES 2019, 81), der zwischen dem statistischen Durchschnittseinkommen eines unselbständig Erwerbstätigen und dem Existenzminimum liege. Mit letzterem sei aber nicht der Grundbedarf für den Lebensunterhalt gemäss Art. 20a SHV gemeint, sondern das exekutionsrechtliche Existenzminimum gemäss der Verordnung vom 1. Juli 2008 über die Festsetzung der pfändungsfreien Beträge bei Exekutionen auf Arbeits- und Diensteinkommen (LGBl. 2008 Nr. 169). Dabei handle es sich zwar nur um den notdürftigen Unterhalt, doch werde dieser vom Verwaltungsgerichtshof zur Ermittlung des notwendigen Unterhalts gemäss § 63 Abs. 1 ZPO in Analogie zu Art. 20a Abs. 2 SHV entsprechend erhöht (LES 2022, 15 = GE 2022, 7). |
| | 3.3 | Zwar möge die Beschwerdeführerin das den standesgemässen Unterhalt bildende statistische Durchschnittseinkommen eines unselbständig Erwerbenden mit einem Nettoeinkommen nach Steuern mit CHF 6‘154.98 mathematisch korrekt ermittelt haben, doch sei diesem nach dem Gesagten im Sinne eines notdürftigen Unterhalts nicht das sog. soziale Existenzminimum gegenüberzustellen, sondern das exekutionsrechtliche im Gesamtbetrag von CHF 2‘522.00 (CHF 1‘980.00 gemäss Art. 1 Bst. a plus CHF 542.00 nach Art. 2 Abs. 1 Bst. b der VO zur EO), was einen Durchschnittsbetrag von rund CHF 3‘633.00 ergebe, der hier als notwendiger Unterhalt im Sinne von § 63 Abs. 1 ZPO anzusehen sei. Stelle man diesem notwendigen Unterhalt das festgestellte Gesamteinkommen der Beschwerdeführerin von total CHF 4‘728.00 gegenüber, so erhelle, dass vom so ermittelten Überschuss von knapp CHF 1‘100.00 durch die vom Landgericht festgesetzten Ratenzahlungen nicht einmal die Hälfte „abgeschöpft“ werde. Es könne jedenfalls entgegen dem Rekursvorbringen keine Rede davon sein, dass die Beschwerdeführerin um CHF 1‘307.49 unter dem notwendigen Unterhalt liegen würde. Denn bei dem von der Vorinstanz ermittelten Betrag von rund CHF 2‘628.00 (ON 19, S. 5 zweiter Absatz) seien bereits die Mietkosten in Abzug gebracht worden, wogegen diese aus dem von der Beschwerdeführerin „errechneten statistischen Durchschnittseinkommen von CHF 6‘154.98“ erst noch zu bezahlen wären. |
| | 3.4 | Im Ergebnis ändere nichts, dass das Obergericht die Berechnungsweise des notwendigen Unterhaltes dahingehend modifiziert habe (Anm.: freilich nur geringfügig und im Ergebnis letztlich unerheblich), dass es dem statistischen Durchschnittseinkommen eines unselbständig Erwerbenden (standesgemässer Unterhalt) das exekutionsrechtliche statt das sog. soziale Existenzminimum als notdürftigen Unterhalt gegenübergestellt habe, woraus ein leicht höherer Überschuss resultiert habe. |
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| 4. | Mit Schriftsatz vom 7. November 2022 erhob die Beschwerdeführerin eine Individualbeschwerde gegen diesen Beschluss des Obergerichts vom 11. Oktober 2022 (ON 37) an den Staatsgerichtshof, wobei eine Verletzung der Begründungspflicht nach Art. 43 LV, des Gleichheitssatzes nach Art. 31 Abs. 1 LV, des Rechts auf das ordentliche Gericht nach Art. 33 Abs. 1 LV und des Willkürverbots geltend gemacht wird. Sie beantragt, der Staatsgerichtshof möge erkennen, dass die Beschwerdeführerin durch die angefochtene Entscheidung in ihren verfassungsmässig gewährleisteten und durch internationale Übereinkommen garantierten Rechten verletzt sei, die angefochtene Entscheidung aufheben und der belangten Behörde die neuerliche Entscheidung in der Sache auftragen sowie dem Beschwerdegegner den Ersatz der Kosten des Individualbeschwerdeverfahrens an die Beschwerdeführerin zu Handen ihrer ausgewiesenen Rechtsvertreterin binnen vier Wochen bei sonstiger Exekution auferlegen. | | Auf die Ausführungen in der Individualbeschwerde wird, soweit relevant, im Rahmen der Urteilsbegründung eingegangen. |
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| 5. | Mit Schreiben vom 11. November 2022 brachte das Obergericht eine Gegenäusserung zur Individualbeschwerde ein. Auf die Ausführungen in der Gegenäusserung wird, soweit relevant, im Rahmen der Urteilsbegründung eingegangen. |
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| 6. | Mit Schriftsatz vom 8. Dezember 2022 brachte der Beschwerdegegner eine Gegenäusserung zur Individualbeschwerde ein, mit welcher er einerseits die Bewilligung der Verfahrenshilfe und andererseits die kostenpflichtige Abweisung der Individualbeschwerde beantragte. Auf die Ausführungen in der Gegenäusserung wird, soweit relevant, im Rahmen der Urteilsbegründung eingegangen. |
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| 7. | Mit Präsidialbeschluss vom 16. Dezember 2022 wies der Präsident des Staatsgerichtshofes sowohl den Verfahrenshilfeantrag der Beschwerdeführerin (Spruchpunkt 1.) wie auch den Verfahrenshilfeantrag des Beschwerdegegners (Spruchpunkt 2.) ab. Er begründete dies im Hinblick auf die Bedürftigkeitsgrenze der Beschwerdegegnerin wie folgt: | | 7.1 | Das Existenzminimum berechne sich wie folgt (vgl. auch VGH 2021/075, Erw. 8 [www.gerichtsentscheide.li]): Die Beschwerdeführerin sei für ihr Kind unterhaltspflichtig. Dementsprechend sei ein Zweipersonenhaushalt heranzuziehen. Gemäss Art. 20a Abs. 2 SHV umfasse das Existenzminimum bei einem Zweipersonenhaushalt CHF 1‘716.00. Dazu komme die Hausmiete. Mangels eines Nachweises seien die Nebenkosten nicht zu berücksichtigen. Davon abgesehen könne durchaus die Frage gestellt werden, ob ein Einfamilienhaus mit 5,5 Zimmern zu einem Mietpreis von CHF 1‘800.00 ohne Nebenkosten nicht zu „überhöhten Wohnkosten“ gemäss Art. 20b Abs. 2 SHV führe. Es sei von der Beschwerdeführerin nicht geltend gemacht worden, dass ihrem Kind und ihr ein Umzug in eine preisgünstigere Unterkunft nicht zuzumuten wäre. Aus diesem Grund sei eine Miete von CHF 1‘500.00 heranzuziehen, was einer ortsüblichen Miete für einen alleinerziehenden Elternteil mit einem Kind entspreche. Krankenkassenprämien (Art. 20c SHV) seien nicht hinzuzurechnen, da diese einerseits bei Bedürftigkeit einer individuellen Subvention zwischen 15 und 70 % unterlägen (Art. 24b KVG) und andererseits in ihrem Restbetrag als Teil der Erhöhung auf den notwendigen Unterhalt (vgl. Erw. 7.2.2) anzusehen seien. Insgesamt berechne sich das Existenzminimum mit CHF 3‘216.00. |
| | 7.2 | Um den notwendigen Unterhalt festzulegen, sei das Existenzminimum bei einer alleinstehenden Person um CHF 1‘000.00 zu erhöhen (VGH 2021/075, Erw. 8 [www.gerichtsentscheide.li]). Eine weitere Erhöhung aufgrund des Bestehens eines Zweipersonenhaushaltes sei hier nicht gerechtfertigt, da es sich um ein minderjähriges Kind handle, welches nicht verzeichnete Unterhaltsansprüche gegen den Vater habe. Der notwendige Unterhalt betrage somit CHF 3‘216.00 + CHF 1‘000.00 = CHF 4‘216.00. |
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| 8. | Mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2022 reichte der Beschwerdegegner eine Senatsbeschwerde gegen Spruchpunkt 2. des Präsidialbeschlusses vom 16. Dezember 2022 beim Staatsgerichtshof ein. |
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| 9. | Mit Senatsbeschluss vom 6. Februar 2023 gab der Staatsgerichtshof der Senatsbeschwerde gegen den Präsidialbeschluss vom 16. Dezember 2022 keine Folge. |
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| 10. | Der Staatsgerichtshof zog die Vorakten, soweit erforderlich, bei und beschloss infolge Spruchreife, auf die Durchführung einer öffentlichen Schlussverhandlung zu verzichten. Nach Durchführung einer nicht-öffentlichen Schlussverhandlung wurde wie aus dem Spruch ersichtlich entschieden. |
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BEGRÜNDUNG | 1. | Nach Art. 39 StGHG nimmt der Staatsgerichtshof seine Zuständigkeit in jeder Lage des Verfahrens von Amtes wegen wahr. Der Staatsgerichtshof hat demnach von Amtes wegen zu prüfen, ob eine Individualbeschwerde zulässig ist (statt vieler: StGH 2021/064, Erw. 1; StGH 2018/100, Erw. 1; StGH 2017/191, Erw. 1 [alle www.gerichtsentscheide.li]; siehe auch Tobias Michael Wille, Liechtensteinisches Verfassungsprozessrecht, LPS Bd. 43, Schaan 2007, 446 m. w. N.). | | 1.1 | Der im Beschwerdefall angefochtene Beschluss des Obergerichts vom 11. Oktober 2022, 06 PG.2021.100-37, ist gemäss der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes als sowohl letztinstanzlich als auch enderledigend im Sinne von Art. 15 Abs. 1 StGHG zu qualifizieren (StGH 2018/128, Erw. 1; StGH 2018/091, Erw. 1; StGH 2018/063, Erw. 1 [alle www.gerichtsentscheide.li]). Die Beschwerde ist auch frist- und formgerecht eingebracht worden. |
| | 1.2 | Das Obergericht macht in seiner Gegenäusserung jedoch geltend, dass der Beschwerdeführerin ausgehend von ihrer eigenen Berechnungsmethode von ihrem Einkommen ein Überschuss von immerhin CHF 429.00 verbleibe, der zumindest eine entsprechende Ratenzahlungsverpflichtung rechtfertigen würde. Man könnte hierin allenfalls eine implizite Rüge der mangelnden Beschwer sehen, da der Beschwerdeführerin eine nur unwesentlich höhere Ratenzahlung von CHF 500.00 auferlegt wurde (siehe zu diesem Eintretenserfordernis StGH 2021/059, Erw. 1.2; StGH 2020/056, Erw. 2.2; StGH 2017/045, Erw. 1.3 [alle www.gerichtsentscheide.li]). |
| | 1.3 | Eine solche Rüge wäre aber offensichtlich nicht berechtigt. Das Berechnungsergebnis der Beschwerdeführerin, welches vom Obergericht herangezogen wird, ist nur ein Eventualiterargument am Schluss der Individualbeschwerde (Rz. 18). In Rz. 12 kommt die Beschwerdeführerin dagegen auf der Basis des Durchschnittseinkommens eines unselbständig Erwerbstätigen von CHF 6‘154.98 und des von ihr errechneten notdürftigen Unterhalts gemäss dem sozialrechtlichen Existenzminimum von CHF 4‘299.00 auf einen Durchschnittswert von gerundet CHF 5‘227.00, also einen merklich höheren Betrag als ihr effektives Einkommen von CHF 4‘728.00. Demnach wäre kein Raum für die von der Beschwerdeführerin bekämpfte Ratenzahlung. Von einer fehlenden Beschwer kann insoweit also nicht die Rede sein. |
| | 1.4 | Somit liegen alle Eintretensvoraussetzungen vor, so dass die vorliegende Individualbeschwerde materiell zu prüfen ist. |
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| 2. | Bevor auf die Grundrechtsprüfung eingegangen wird, erscheint es sinnvoll, zum besseren Verständnis einige übergreifende Erwägungen anzustellen, auf die dann bei der Behandlung der einzelnen Grundrechtsrügen jeweils zurückgegriffen werden kann. | | 2.1 | Im Beschwerdeverfahren, welches dem Individualbeschwerdeverfahren zugrunde liegt, wurde der Beschwerdeführerin die Verfahrenshilfe in vollem Umfang zugesprochen. Vor dem Staatsgerichtshof geht es allein um die Frage, ob es grundrechtskonform ist, dass die Beschwerdeführerin eine monatliche Rate von CHF 500.00 für die Deckung der Verfahrenshilfebeiträge zu zahlen hat. Um diese Frage aufzulösen, ist es allerdings nötig, ganz grundsätzlich zu klären, wie weit der grundrechtliche Verfahrenshilfeanspruch reicht. Damit in der Folge auf diese grundrechtliche Problematik weiter eingegangen werden kann, werden zunächst die aktuelle Rechtslage und deren Hintergründe skizziert. |
| | 2.2 | In seiner bisherigen Rechtsprechung interpretierte der Staatsgerichtshof den grundrechtlichen Anspruch auf Verfahrenshilfe wie folgt: | | 2.2.1 | Der Staatsgerichtshof leitet den Anspruch auf Verfahrenshilfe sowohl aus dem Recht auf Beschwerdeführung als auch - primär - aus dem Gleichheitssatz der Verfassung ab (StGH 2021/034, Erw. 3.1; StGH 2016/066, Erw. 6.1; StGH 2008/079, Erw. 5.1 [alle www.gerichtsentscheide.li]). |
| | 2.2.2 | Darüber hinaus gewährleistet Art. 6 Abs. 1 EMRK das Recht auf Zugang zu einem unabhängigen, unparteiischen und auf Gesetz beruhenden Gericht. Dieses Recht garantiert dabei dem bzw. der Einzelnen nicht nur formal die Möglichkeit, einen Streitfall vor Gericht anhängig zu machen. Es muss vielmehr tatsächlich eine Auseinandersetzung mit dem Streitfall stattfinden, die in eine gerichtliche Entscheidung mündet (Christoph Grabenwarter/Katharina Pabel, EMRK, 7. Aufl., Basel/München/Wien 2021, § 24, Rz. 51). Das Recht auf Zugang ist jedoch nicht absolut gewährleistet und darf durch gesetzliche Regelungen des innerstaatlichen Rechts eingeschränkt werden. Solche Beschränkungen sind zulässig, solange sie ein legitimes Ziel verfolgen und im Hinblick auf das verfolgte Ziel dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit entsprechen (StGH 2016/066, Erw. 6.1; StGH 2016/055, Erw. 3.1; StGH 2015/139, Erw. 2.1 [alle www.gerichtsentscheide.li]). Auch Vorschriften, die in angemessener Form die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung berücksichtigen, stehen im Einklang mit Art. 6 Abs. 1 EMRK (vgl. Tobias Michael Wille, Beschwerderecht, in: Kley/Vallender [Hrsg.], Grundrechtspraxis in Liechtenstein, LPS Bd. 52, Schaan 2012, 527, Rz. 30). |
| | 2.2.3 | Der in Art. 6 Abs. 1 EMRK gewährleistete Anspruch auf Zugang zu einem unabhängigen, unparteiischen und auf Gesetz beruhenden Gericht setzt ebenfalls voraus, dass gerichtlicher Rechtsschutz tatsächlich und effektiv gewährt wird. Auch wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) einen entsprechenden Gestaltungsspielraum der Vertragsstaaten bei der Ausgestaltung dieses Rechts anerkennt und ein direkter Anspruch auf Verfahrenshilfe in Art. 6 EMRK nicht gewährleistet ist, steht fest, dass der Staat dafür Sorge zu tragen hat, dass dem Einzelnen der Zugang zu Gericht nicht aus wirtschaftlichen Gründen verwehrt bleibt (StGH 2020/009, Erw. 3.1; StGH 2018/112, Erw. 4.1 [www.gerichtsentscheide.li]; vgl. EGMR, Marina gg. Lettland, Nr. 46040/07, Urteil vom 26. Oktober 2010, §§ 55 f. [hudoc.echr.coe.int]). |
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| | 2.3 | Die gesetzlichen Regelungen der Verfahrenshilfe im Zivil-, Straf- und Verwaltungsverfahren wurden in den letzten Jahren mehrfach reformiert. | | 2.3.1 | In einem ersten Schritt wurde die Einführung der Verfahrenshilfe für juristische Personen und die Reduktion des Anwaltstarifs umgesetzt. Diese Bestimmungen traten am 1. Januar 2016 in Kraft (LGBl. 2015 Nr. 368, 369 und 370; siehe auch BuA Nr. 69/2016, S. 11 f.). |
| | 2.3.2 | In einem zweiten Schritt wurden verfahrensrechtliche Anpassungen vorgenommen, wie das neue Verfahrenshilfeerfordernis der schwierigen Sach- und Rechtslage, die Möglichkeit zur Verpflichtung zu einer Ratenzahlung und die Verlängerung der Verjährungsfrist für die Nachzahlungsansprüche an geleisteter Verfahrenshilfe von drei Jahren auf zehn Jahre. Jene Bestimmungen traten am 1. Januar 2017 in Kraft (LGBl. 2016 Nr. 405, 406 und 407; siehe auch BuA Nr. 69/2016, S. 5 f.). |
| | 2.3.3 | Die Grenze für die Gewährung der Verfahrenshilfe liegt dabei beim notwendigen Unterhalt (§ 63 Abs. 1 ZPO): „Verfahrenshilfe ist einer Partei so weit zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen, als sie ausserstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. Als notwendiger Unterhalt ist derjenige Unterhalt anzusehen, den die Partei für sich und ihre Familie, für deren Unterhalt sie zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung benötigt. […]“ | | Diese Bestimmung blieb bei der Verfahrenshilfereform weitgehend unverändert. Einzig der Passus „zur Gänze oder zum Teil“ wurde eingefügt. Insbesondere wurde trotz der gegenläufigen Stellungnahme der Staatsanwaltschaft, welche auf den „notdürftigen“ Unterhalt abstellen wollte, der „notwendige“ Unterhalt weiterhin als Grenze für die Gewährung der Verfahrenshilfe belassen (BuA Nr. 69/2016, S. 38). Als notwendiger Unterhalt wurde dabei ein solcher zwischen dem „notdürftigen“ und dem „standesgemässen“ Unterhalt angesehen (BuA Nr. 69/2016, S. 37). |
| | 2.3.4 | Kürzlich liess der Staatsgerichtshof offen, ob das Obergericht in seiner Entscheidungsbegründung eine Unterscheidung zwischen dem „notwendigen Unterhalt“ und dem „notdürftigen Unterhalt“ treffen hätte müssen (StGH 2022/045, Erw. 2.3 [www.gerichtsentscheide.li]). Zwar wurde im einschlägigen Bericht und Antrag Nr. 69/2016 im allgemeinen Sinne auf diese Unterscheidung abgestellt (vgl. Erw. 2.3.3), doch in der Folge wurden im Bericht und Antrag Entscheidungen zitiert, welche Bezug nehmen auf | | • das exekutionsrechtliche Existenzminimum ohne Zuschlag (VGH 2014/041); • der sozialrechtliche Grundbedarf für den Lebensunterhalt + Wohnkosten + Krankenkasse (Franchise und Selbstbehalt) + Mindestversicherungsbeiträge = sozialrechtliches Existenzminimum (VGH 2012/090); • der sozialrechtliche Grundbedarf für den Lebensunterhalt + Wohnkosten + Krankenkasse (Franchise und Selbstbehalt) (VGH 2012/018); • das Familiennettoeinkommen im Vergleich zu den voraussichtlichen Verfahrenskosten (09 CG.2012.307); • das Familiennettoeinkommen abzüglich monatlich bedienter Schulden im Vergleich zu den voraussichtlichen Verfahrenskosten (02 CG.2014.229). | | Es finden sich somit unter den zitierten Entscheidungen unterschiedliche Methoden, welche entsprechend zu divergierenden Ergebnissen führen. Mit anderen Worten ergibt sich aus dem Bericht und Antrag Nr. 69/2016 nicht, mit welcher Methode die Bedürftigkeitsgrenze zu berechnen ist. Einzig klar ist, dass der „notwendige“ Unterhalt als Bedürftigkeitsgrenze zwischen dem „notdürftigen“ Unterhalt und dem „standesgemässen“ Unterhalt einzustufen ist. |
| | 2.3.5 | In der Rechtsprechung des Rezeptionslandes Österreich liegt der notwendige Unterhalt zwischen dem Existenzminimum und dem statistischen Durchschnittseinkommen von unselbständig Erwerbstätigen (OLG Wien RZ 1974/88; LGZ Wien EFSIg 85.246; LG Innsbruck EFSlg 128.388; 132.127; OLG Graz, 24.09.2012, 2R151/12m; BFG, 14.12.2015, VH/7500037/2015; VwGH, 12.02.2021, Ra 2019/13/0107). Diese Rechtsprechung wird in Liechtenstein teils analog angewendet (OGH, 06.03.2015, SV.2014.23, Erw. 6; OGH in StGH 2013/005, Sachverhalt, Ziff. 3.1; OGH, 07.12.2012, SV.2012.26, Erw. 5.4 [alle www.gerichtsentscheide.li]). Auch im angefochtenen Beschluss des Obergerichts wurde auf diese Rechtsprechung verwiesen (vgl. vorne Ziff. 3.2 des Sachverhalts). | | In Österreich wird im Weiteren nicht zwischen dem exekutionsrechtlichen Existenzminimum und dem sozialrechtlichen Existenzminimum unterschieden. Vielmehr verweisen sowohl § 291a Abs. 1 Ö-EO (Exekutionsordnung; RGBl. Nr. 79/1896) als auch § 5 Abs. 2 Sozialhilfe-Grundsatzgesetz (BGBl. Nr. 41/2019) auf § 293 Abs. 1 Bst. a Ö-ASVG (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz; BGBl. Nr. 189/1955) und den darin enthaltenen „Ausgleichszulagenrichtsatz für alleinstehende Personen“. Jene Bestimmung stellt die „Mindestpension“ dar, die jeder Person, die ihren rechtmässigen, gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, ein Mindesteinkommen sichern soll (BuA Nr. 65/2020, S. 64). |
| | 2.3.6 | Schliesslich ist noch auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zu VGH 2021/075 (LES 2022, 15; www.gerichtsentscheide.li) einzugehen, auf welche sowohl die Beschwerdeführerin als auch das Obergericht Bezug nehmen. | | Der Verwaltungsgerichtshof hielt in diesem Urteil (a.a.O., Erw. 8) zunächst im Sinne der österreichischen Rezeptionsvorlage fest, dass der notwendige Unterhalt i.S. des Art. 43 LVG i.V.m. § 63 Abs. 1 ZPO über dem notdürftigen Unterhalt (Existenzminimum) und unter dem standesgemässen Unterhalt liege. Bei der Ermittlung des notwendigen Unterhalts sei immer auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls Bedacht zu nehmen. Im Weiteren ging der Verwaltungsgerichtshof im konkreten Fall nicht vom exekutionsrechtlichen, sondern vom sozialrechtlichen Existenzminimum als notdürftigen Unterhalt aus und setzte den notwendigen Unterhalt mit CHF 1‘000.00 über diesem notdürftigen Unterhalt an. |
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| | 2.4 | Mit diesen Vorgaben ist nun auf die einzelnen Grundrechtsrügen einzugehen. |
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| 3. | Zunächst ist die von der Beschwerdeführerin erhobene Begründungsrüge zu prüfen. | | 3.1 | Wesentlicher Zweck der Begründungspflicht gemäss Art. 43 LV ist, dass die von einer Verfügung oder Entscheidung betroffene Partei deren Stichhaltigkeit überprüfen und sich gegen eine fehlerhafte Begründung wehren kann. Allerdings wird der Umfang des grundrechtlichen Begründungsanspruchs durch die Aspekte der Angemessenheit und Verfahrensökonomie begrenzt. Ein genereller Anspruch auf ausführliche Begründung existiert nicht. Nur wenn in einem entscheidungsrelevanten Punkt eine nachvollziehbare Begründung gänzlich fehlt oder eine blosse Scheinbegründung vorliegt, ist dieses Grundrecht verletzt (StGH 2020/013, LES 2020, 190 [192, Erw. 2.1]; StGH 2018/039, Erw. 5.1; StGH 2017/197, Erw. 2.1 [alle www.gerichtsentscheide.li]; siehe auch Tobias Michael Wille, Begründungspflicht, in: Kley/Vallender [Hrsg.], Grundrechtspraxis in Liechtenstein, LPS Bd. 52, Schaan 2012, 554 ff., Rz. 16). | | Die materielle Richtigkeit einer Begründung wird demgegenüber im Lichte des jeweiligen spezifischen Grundrechts bzw. des Willkürverbots und nicht der Begründungspflicht gemäss Art. 43 LV geprüft. Entsprechend verletzt auch eine falsche Begründung Art. 43 LV nicht, soweit es sich dabei nicht gerade um eine Scheinbegründung handelt (StGH 2021/065, Erw. 8.1; StGH 2020/029, Erw. 4.2; StGH 2018/068, Erw. 3.1 [alle www.gerichtsentscheide.li]). Der Staatsgerichtshof geht dabei insbesondere dann von einer Scheinbegründung aus, wenn versucht wird, eine sachgerechte und fallbezogene Begründung durch allgemeine substanzlose Wendungen zu ersetzen (siehe Tobias Michael Wille, Begründungspflicht, a. a. O., 560, Rz. 19 m. w. N.). |
| | 3.2 | Gemäss der angefochtenen Entscheidung wird der notwendige Unterhalt wie folgt berechnet (vgl. vorne Ziff. 3.3 des Sachverhalts): | | Zwar möge die Beschwerdeführerin das den standesgemässen Unterhalt bildende statistische Durchschnittseinkommen eines unselbständig Erwerbenden mit einem Nettoeinkommen nach Steuern mit CHF 6‘154.98 mathematisch korrekt ermittelt haben, doch sei diesem im Sinne eines notdürftigen Unterhalts nicht das sogenannte soziale Existenzminimum gegenüberzustellen, sondern das exekutionsrechtliche im Gesamtbetrag von CHF 2‘522.00 (CHF 1‘980.00 gemäss Art. 1 Bst. a plus CHF 542.00 nach Art. 2 Abs. 1 Bst. b der VO zur EO), was einen Durchschnittsbetrag von rund CHF 3‘633.00 ergebe, der hier als notwendiger Unterhalt im Sinne von § 63 Abs. 1 ZPO anzusehen sei. Konkret erfolgte die Berechnung des „Durchschnittsbetrages von rund CHF 3‘633.00“ offenbar so, dass vom Durchschnittsnettoeinkommen nach Steuern von CHF 6‘154.98 das exekutionsrechtliche Existenzminimum von CHF 2‘522.00 abgezogen wurde. |
| | 3.3 | Diese Berechnungsweise macht nun aber keinen Sinn. Auch die Gegenäusserung des Obergerichts kann keine Logik hinter dieser Berechnungsweise aufzeigen. Immerhin scheint sich aus der angefochtenen Entscheidung zu ergeben, dass das Obergericht eigentlich auf den Durchschnittsbetrag von Durchschnittsnettoeinkommen und exekutionsrechtlichem Existenzminimum abstellen will. Der Durchschnittsbetrag von Durchschnittsnettoeinkommen und exekutionsrechtlichem Existenzminimum betrüge aber CHF 4’338.49. | | 3.3.1 | Damit wäre der österreichischen Rechtsprechung (siehe oben Erw. 2.3.5) insofern mathematisch genau Rechnung getragen, als der so berechnete notwendige Unterhalt exakt zwischen dem statistischen Durchschnittseinkommen von unselbständig Erwerbstätigen und dem Existenzminimum liegt. Der Staatsgerichtshof kam im Übrigen im Präsidialbeschluss vom 16. Dezember 2022, StGH 2022/099 V, Erw. 7.2.1 f., unter weitgehender Verwendung der Berechnungsmethode des Verwaltungsgerichtshofes im Vergleich zu diesem Durchschnittsbetrag von CHF 4’338.49 auf einen ähnlichen, allerdings etwas niedrigeren Betrag für den notwendigen Unterhalt von CHF 4‘216.00. |
| | 3.3.2 | Das Obergericht legt seiner Entscheidung jedenfalls nicht den soweit plausiblen Durchschnittsbetrag von CHF 4’338.49 zugrunde, sondern den nicht nachvollziehbaren Betrag von CHF 3‘633.00. Damit wird aus der Obergerichtsentscheidung aber letztlich nur klar, dass es die Berechnungsmethode des Verwaltungsgerichtshofes nicht übernehmen will. Warum dem aber so ist und was die Alternative sein soll, wird nicht klar. Insoweit ist diese Begründung schlicht nicht nachvollziehbar. |
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| | 3.4 | Die Beschwerdeführerin macht im Rahmen der Begründungsrüge noch zusätzlich geltend, dass sich das Obergericht im Zusammenhang mit der Festlegung des „notdürftigen“ Unterhalts zwar auf VGH 2021/075 (LES 2022, 15; www.gerichtsentscheide.li) berufe, dabei jedoch unrichtigerweise davon ausgehe, dass der Verwaltungsgerichtshof das exekutionsrechtliche Existenzminimum anstelle des sozialrechtlichen Existenzminimums herangezogen habe. Dazu komme, dass die Rechtsprechung des Obergerichts uneinheitlich sei. In der von ihm ebenfalls zitierten Entscheidung zu StGH 2018/063 (LES 2019, 81; www.gerichtsentscheide.li) habe das Obergericht festgehalten, dass „nicht das exekutionsrechtliche, sondern vielmehr das sogenannte soziale Existenzminimum“ massgebend sei. |
| | 3.5 | Zum VGH-Urteil 2021/075 räumt das Obergericht in seiner Gegenäusserung selbst ein, diese Entscheidung sei „missverständlich zitiert“ worden. Eine solche, in einer Gegenäusserung nachgeschobene bzw. korrigierte Begründung kann allerdings die Verletzung dieses Grundrechts nicht heilen (StGH 2022/015, Erw. 3.3 [www.gerichtsentscheide.li]; StGH 1996/021, LES 1998, 18 [22, Erw. 5]; siehe auch Tobias Michael Wille, Begründungspflicht, a. a. O., 553, Rz. 14). Und auch wenn das Obergericht in seiner Gegenäusserung betont, dass es in seiner StGH 2018/063 zugrunde liegenden Entscheidung zwar das soziale Existenzminimum herangezogen, anders als der Verwaltungsgerichtshof dazu aber nicht noch einen Zuschlag von CHF 1‘000.00 hinzugerechnet habe, so darf die bisherige Rechtsprechung des Obergerichts im Einklang mit der Beschwerdeführerin durchaus als „uneinheitlich“ qualifiziert werden. Jedenfalls tragen sowohl das Versehen des Obergerichts als auch seine generell uneinheitliche Praxis noch zusätzlich zur Verwirrung darüber bei, was nun eigentlich Sache sein soll. |
| | 3.6 | Insgesamt liegt mangels Nachvollziehbarkeit der vom Obergericht gegebenen Begründung eine Verletzung der Begründungspflicht vor, so dass seine angefochtene Entscheidung schon aus diesem Grund spruchgemäss als verfassungswidrig aufzuheben ist. |
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| 4. | Immerhin ist zu den weiteren Grundrechtsrügen noch kurz Folgendes anzumerken: | | 4.1 | Was zunächst die Gleichheitsrüge angeht, so muss eine behauptete ungleiche Behandlung grundsätzlich von der gleichen Behörde ausgehen (StGH 2018/123, LES 2019, 123 [126, Erw. 3.1]; StGH 2013/184, Erw. 4.1; StGH 2012/172, Erw. 3.1 [beide www.gerichtsentscheide.li]). Rechtsungleich kann eine Behandlung aber auch sein, wenn der herangezogene Vergleichsfall vom Staatsgerichtshof oder von einer oberen Instanz stammt (StGH 2021/076, Erw. 2.1; StGH 2020/076, Erw. 4.1; StGH 2019/127, Erw. 2.1 [alle www.gerichtsentscheide.li]). |
| | 4.2 | Entsprechend verlangt der Gleichheitssatz nicht, dass die ordentlichen Gerichte die Bedürftigkeitsrechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes übernehmen müssen (so auch StGH 2022/045, Erw. 4 [www.gerichtsentscheide.li]). Aus dem Blickwinkel der Begründungspflicht ist aber trotzdem eine abweichende Praxis solide zu begründen. Bei einer solchen soliden Begründung einer eigenen neuen Praxis stellt es dann auch in Bezug auf die verschiedenen, in der Individualbeschwerde angeführten früheren Entscheidungen des Obergerichts keine Ungleichheit dar, wenn nunmehr davon abgewichen wird (siehe auch Andreas Kley/Hugo Vogt, Rechtsgleichheit und Grundsatz von Treu und Glauben, in: Kley/Vallender [Hrsg.], Grundrechtspraxis in Liechtenstein, LPS Bd. 52, Schaan 2012, 273, Rz. 42 m. w. N.). |
| | 4.3 | Im Weiteren ist ausgeführt worden, dass die österreichische Rezeptionsgrundlage zwar nur das Existenzminimum im Sinne des notdürftigen Unterhalts und das statistische Durchschnittseinkommen von unselbständig Erwerbstätigen im Sinne des standesgemässen Unterhalts als Eckwerte für den notwendigen Unterhalt vorgibt. Bei der dem Willen des liechtensteinischen Gesetzgebers entsprechenden Übernahme dieser Eckwerte ist keine Notwendigkeit erkennbar, auf das exekutionsrechtliche anstelle des sozialrechtlichen Existenzminimums für den notdürftigen Unterhalt abzustellen. Wie erwähnt, wird bei der österreichischen Berechnungsmethode von vornherein nicht zwischen dem exekutionsrechtlichen und dem sozialrechtlichen Existenzminimum unterschieden (siehe oben Erw. 2.3.5). In Liechtenstein gibt es aber diese Unterscheidung und es ist wohl sachgerechter, zumindest im Kern (vgl. vorne Ziff. 7 ff. des Sachverhalts) auf das sozialrechtliche Existenzminimum abzustellen, da es bei der Bedürftigkeit als Voraussetzung für den Verfahrenshilfeanspruch anders als beim exekutionsrechtlichen Existenzminimum nicht um den Schutz von Gläubigerinteressen geht (vgl. StGH 2014/142, Erw. 4.2.2 [www.gerichtsentscheide.li]). |
| | 4.4 | Nach Auffassung des Staatsgerichtshofes ist jedenfalls klar, dass die dem Willen des Gesetzgebers entsprechende Lösung weder beim exekutionsrechtlichen- bzw. sozialrechtlichen Existenzminimum noch beim statistischen Durchschnittseinkommen von unselbständig Erwerbstätigen im Sinne des standesgemässen Unterhalts, sondern irgendwo im Mittelbereich zwischen diesen Werten anzusiedeln ist - wie dies bei der vom Verwaltungsgerichtshof verwendeten Methode ohne Weiteres zutrifft. Denn zum einen verwarf die Regierung den Vorschlag der Staatsanwaltschaft, auf das exekutionsrechtliche Existenzminimum abzustellen, kategorisch. So würde dies gemäss den Ausführungen der Regierung „eine extreme Verschärfung der Voraussetzungen für die Verfahrenshilfe darstellen“ (BuA Nr. 69/2016, S. 38). Zum anderen wäre eine Lösung nahe beim standesgemässen Unterhalt im Widerspruch zum Sparziel dieser Reform des Verfahrenshilferechts (BuA Nr. 69/2016, S. 13 und 15). |
| | 4.5 | Abschliessend ist festzuhalten, dass eine einheitliche Handhabung der für die Verfahrenshilfe zentralen Bedürftigkeitskriterien durch alle liechtensteinischen Gerichte und Behörden wünschenswert wäre. Es ist den Betroffenen schwer zu vermitteln, wenn sie im einen Verfahren Anspruch auf Verfahrenshilfe haben sollen, im anderen bei den gleichen finanziellen Verhältnissen jedoch nicht. Der Staatsgerichtshof kann eine solche übergreifende Vereinheitlichung der Bedürftigkeitskriterien aber im Lichte des Gleichheitssatzes der Verfassung nicht erzwingen; dies könnte erforderlichenfalls nur der Gesetzgeber. |
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| 5. | Aus all diesen Erwägungen ist der Individualbeschwerde spruchgemäss Folge zu geben, die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben und an das Obergericht zur neuerlichen Entscheidung unter Bindung an die Rechtsansicht des Staatsgerichtshofes zurückzuverweisen. |
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| 6. | Der Beschwerdeführerin sind die in ihrer Individualbeschwerde vom 10. Februar 2022 verzeichneten Rechtsvertretungskosten nur auf der Basis eines Streitwerts von CHF 3‘000.00 zuzusprechen. | | Da im Individualbeschwerdeverfahren vor dem Staatsgerichtshof nach ständiger Praxis des Staatsgerichtshofes (StGH 2020/076, Erw. 8; StGH 2019/035, Erw. 5; StGH 2018/071, Erw. 4 [alle www.gerichtsentscheide.li]) die Gerichtsgebühren von der obsiegenden Partei nicht zu tragen sind, sind der Beschwerdeführerin die mit Valuta vom 11. Januar 2023 bereits an die Landeskasse geleisteten Gerichtsgebühren von CHF 600.00 zurückzuerstatten. Demgegenüber sind ebendiese Gerichtsgebühren dem Beschwerdegegner aufzuerlegen (StGH 2020/057, Erw. 5 [www.gerichtsentscheide.li]). |
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Dieses Urteil ist endgültig. Vaduz, den 14. März 2023 Der Präsident: Dr. Hilmar Hoch |