StGH 2021/082 Der Staatsgerichtshof als Verfassungsgerichtshof hat in seiner nicht-öffentlichen Sitzung vom 7. Dezember 2021, an welcher teilnahmen: Präsident Dr. Hilmar Hoch als Vorsitzender; stellvertretender Präsident lic. iur. Christian Ritter, Prof. Peter Bussjäger, lic. iur. Marco Ender und Prof. August Mächler als Richter sowie Dr. Tobias Wille als Schriftführer über den Antrag der Antragsteller: | 3. | 1'272 weitere Antragsteller |
alle vertreten durch:
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Belangte Behörde: | Regierung des Fürstentums Liechtenstein, Vaduz |
gegen: | Verordnung vom 9. September 2021 über die Abänderung der Covid-19-Verordnung, LGBl. 2021 Nr. 285 |
wegen: | Verfassungs- und Gesetzwidrigkeit (Streitwert: CHF 50'000.00) |
zu Recht erkannt: 1. | Dem Antrag der Antragsteller auf Aufhebung der Verordnung vom 9. September 2021 über die Abänderung der Covid-19-Verordnung, LGBl. 2021 Nr. 285, wird keine Folge gegeben. Diese Verordnung ist weder verfassungs- noch gesetzwidrig. |
2. | Die Gerichtsgebühren trägt das Land Liechtenstein. Die Landeskasse hat den Antragstellern die mit Valuta vom 12. Oktober 2021 bereits bezahlten Gerichtsgebühren von CHF 1’700.00 zurückzuerstatten. |
SACHVERHALT | 1. | Mit LGBl. 2021 Nr. 285 wurde die Verordnung vom 9. September 2021 über die Abänderung der Covid-19-Verordnung (Verordnung vom 25. Juni 2020 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus [Covid-19]) kundgemacht. Die Bestimmungen dieser Verordnung lauten wie folgt: | | „Art. 3b | | Personen in öffentlich zugänglichen Bereichen von Einrichtungen und Betrieben | | 1) Jede Person muss in öffentlich zugänglichen Innenräumen von Einrichtungen und Betrieben eine Gesichtsmaske tragen. 2) Abs. 1 gilt auch an Schulen nach dem Schulgesetz und anderen Bildungseinrichtungen sowie in Institutionen der familienergänzenden Kinderbetreuung. Ausgenommen sind Situationen, in denen das Tragen einer Maske den Unterricht, die Therapie oder die Betreuung wesentlich erschwert. 3) Folgende Personen sind von der Pflicht nach Abs. 1 und 2 ausgenommen: a) Kinder vor ihrem 12. Geburtstag; b) Personen, die nachweisen können, dass sie aus besonderen Gründen, insbesondere medizinischen, keine Gesichtsmasken tragen können; für den Nachweis gilt Art. 3a Abs. 1 Bst. b; c) Schüler während des Unterrichts auf der Primarstufe sowie Kinder in Institutionen der familienergänzenden Kinderbetreuung; d) Personen, die eine medizinische oder kosmetische Dienstleistung im Gesicht in Anspruch nehmen; e) auftretende Personen wie Künstler oder Sportler, wenn das Tragen einer Maske aufgrund der Art der Aktivität nicht möglich ist; f) Personen in öffentlich zugänglichen Einrichtungen und Betrieben oder an Veranstaltungen, für die der Zugang auf Personen mit einem Covid-19-Zertifikat (Art. 11a) beschränkt ist. 4) Ist zu öffentlich zugänglichen Einrichtungen und Betrieben oder zu Veranstaltungen der Zugang auf Personen mit einem Covid-19-Zertifikat (Art. 11a) beschränkt, so müssen die Betreiber und Organisatoren vorsehen, dass die vor Ort tätigen Personen, die Kontakt haben zu Gästen, Kunden oder Besucher: a) selber ein Zertifikat vorweisen können; oder b) falls nicht alle ein Zertifikat vorweisen können: alle in Innenbereichen eine Gesichtsmaske tragen. 5) Sozialmedizinische Institutionen können nach Rücksprache mit dem Amt für Gesundheit in ihren Schutzkonzepten vorsehen, dass in den öffentlich zugänglichen Bereichen von der Pflicht nach Abs. 1 ausgenommen sind: a) Bewohner, die gegen Covid-19 geimpft wurden: für die in Anhang 1a festgelegte Dauer; b) Bewohner, die sich mit Sars-CoV-2 angesteckt haben und als genesen gelten: für die in Anhang 1a festgelegte Dauer. 6) Welche Personen im Sinne von Abs. 5 Bst. a als geimpft gelten, wird in Anhang 1a geregelt. | | Art. 4 Abs. 2, 2a und 5 | | 2) Wird bei Personen ab vollendetem 16. Altersjahr der Zugang nicht auf Personen mit einem Covid-19-Zertifikat (Art. 11a) eingeschränkt, so gelten für das Schutzkonzept folgende Vorgaben: a) Es muss für die Einrichtung, den Betrieb oder die Veranstaltung Massnahmen betreffend Hygiene und Abstand vorsehen. b) Es muss Massnahmen vorsehen, welche die Einhaltung der Maskentragpflicht nach Art. 3b gewährleisten. 2a) Wird bei Personen ab vollendetem 16. Altersjahr der Zugang auf Personen mit einem Covid-19-Zertifikat (Art. 11a) eingeschränkt, so muss das Schutzkonzept Massnahmen zur Hygiene und zur Umsetzung der Zugangsbeschränkung enthalten. 5) Aufgehoben | | Art. 4a | | Besondere Bestimmungen für Restaurations-, Bar- und Clubbetriebe 1) Für Restaurations-, Bar- und Clubbetriebe, in denen die Konsumation vor Ort erfolgt, gilt Folgendes: a) Die Betriebe müssen bei Personen ab vollendetem 16. Altersjahr den Zugang zu Innenbereichen auf Personen mit einem Covid-19-Zertifikat (Art. 11a) beschränken. b) Den Zugang zu Aussenbereichen können die Betriebe für Personen ab vollendetem 16. Altersjahr auf Personen mit einem Covid-19-Zertifikat (Art. 11a) beschränken. Sieht ein Betrieb im Aussenbereich keine Beschränkung des Zugangs vor, so muss zwischen den Gästegruppen entweder der erforderliche Abstand eingehalten oder müssen wirksame Abschrankungen angebracht werden. 2) Für Betriebskantinen und Schulmensen gilt einzig Folgendes: a) Für die Konsumation im Restaurationsbereich gilt eine Sitzpflicht. b) In Innenbereichen von Betriebskantinen muss der erforderliche Abstand zwischen allen Gästen eingehalten werden. c) Die Gäste müssen im Innenbereich eine Gesichtsmaske tragen, wenn sie nicht an einem Tisch sitzen. d) In Betriebskantinen dürfen ausschliesslich im betreffenden Betrieb arbeitende Personen und in Schulmensen ausschliesslich Schüler, Lehrpersonen sowie die Angestellten der Schule verköstigt werden. 3) Für Diskotheken und Tanzlokale gilt einzig Art. 4b. | | Art. 4b | | Besondere Bestimmungen für Diskotheken und Tanzlokale und andere Einrichtungen und Betriebe in den Bereichen Kultur, Unterhaltung, Freizeit und Sport 1) Diskotheken und Tanzlokale müssen bei Personen ab vollendetem 16. Altersjahr den Zugang auf Personen mit einem Covid-19-Zertifikat (Art. 11a) beschränken. 2) Öffentlich zugängliche Einrichtungen und Betriebe in den Bereichen Kultur, Unterhaltung, Freizeit und Sport, in denen den Besuchern nicht ausschliesslich Aussenbereiche offenstehen, müssen bei Personen ab vollendetem 16. Altersjahr den Zugang auf Personen mit einem Covid-19-Zertifikat (Art. 11a) beschränken. | | Art. 5 | | Besondere Bestimmungen für Veranstaltungen 1) Für Veranstaltungen mit mehr als 50 Personen, seien es Besucher oder Teilnehmende, ist für Personen ab vollendetem 16. Altersjahr der Zugang auf Personen mit einem Covid-19-Zertifikat (Art. 11a) zu beschränken. 2) Für Veranstaltungen mit höchstens 50 Personen sowie religiöse Veranstaltungen und Bestattungsfeiern kann der Zugang nach Massgabe von Abs. 1 beschränkt werden; wird keine Zugangsbeschränkung vorgesehen, so gelten die Vorgaben nach Art. 3b und 4. | | Art. 5c Abs. 2 2) Die jeweils zuständige Schulleitung kann bei Verstössen gegen das Schutzkonzept (Art. 4) oder die Maskentragpflicht (Art. 3b Abs. 2) Massnahmen nach Art. 24 SchulOV ergreifen; bei Privatschulen richten sich die Massnahmen nach den schulinternen Vorschriften. | | Art. 6 Einleitungssatz Die Regierung kann Erleichterungen gegenüber den Vorgaben nach Art. 4 Abs. 2, 2a und 3 bewilligen, wenn: | | Art. 8 Abs. 4 und 4a 4) Sie sind berechtigt, das Vorliegen eines Covid-19-Zertifikats (Art. 11a) bei ihren Arbeitnehmern zu überprüfen, wenn dies der Festlegung angemessener Schutzmassnahmen dient. Das Ergebnis der Überprüfung darf nicht für andere Zwecke verwendet werden. 4a) Sieht der Arbeitgeber die Überprüfung des Vorliegens eines Covid-19-Zertifikats nach Abs. 4 vor, so hat er dies und die daraus abgeleiteten Massnahmen schriftlich festzuhalten. Die Arbeitnehmer oder deren Vertretung sind vorgängig anzuhören. | | Art. 11a Abs. 3a 3a) Die Überprüfung der Authentizität, Integrität und Gültigkeit eines Covid-19-Zertifikats erfolgt anhand einer vom Amt für Gesundheit anerkannten Überprüfungs-App. | | Art. 12 Abs. 1 1) Von der Regierung wird wegen Übertretung mit Busse bis zu 10 000 Franken bestraft, wer: a) als Betreiber oder Organisator vorsätzlich oder fahrlässig seine Verpflichtungen nach Art. 4 Abs. 1, 2 und 2a, Art. 4a, 4b oder 5 nicht einhält; b) sich als Person ab vollendetem 16. Altersjahr ohne gültiges Covid-19-Zertifikat (Art. 11a) vorsätzlich zu einer Einrichtung, einem Betrieb oder einer Veranstaltung Zutritt verschafft, für den ein solches Zertifikat verlangt wird. | | Anhang 1 Bst. A Überschrift und Bst. B Überschrift sowie Unterbst. abis, ater und d A. Schutzkonzepte für öffentlich zugängliche Einrichtungen und Betriebe sowie Veranstaltungen, die bei Personen ab vollendetem 16. Altersjahr den Zugang nicht auf Personen mit einem Covid-19-Zertifikat einschränken B. Schutzkonzepte für öffentlich zugängliche Einrichtungen und Betriebe sowie Veranstaltungen, die bei Personen ab vollendetem 16. Altersjahr den Zugang auf Personen mit einem Covid-19-Zertifikat einschränken Das Schutzkonzept enthält Massnahmen mit Bezug auf: abis) die Überprüfung der Identität der Personen im Rahmen der Zugangskontrolle nach Bst. a; diese muss anhand eines geeigneten Identitätsnachweises mit Foto erfolgen; ater) die Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen der Zugangskontrolle nach Bst. a; dabei gilt Folgendes: 1. Der Betreiber beziehungsweise der Organisator muss die betroffenen Personen frühzeitig über die Datenverarbeitung informieren. 2. Die Daten dürfen zu keinen anderen Zwecken verarbeitet werden. 3. Die Daten dürfen nur dann aufbewahrt werden, wenn dies zur Sicherstellung der Zugangskontrolle erforderlich ist; diesfalls müssen sie spätestens zwölf Stunden nach Abschluss der Veranstaltungen vernichtet werden. d) eine allfällige Pflicht zum Tragen einer Gesichtsmaske für Arbeitnehmer und weitere an der Veranstaltung tätige Personen, die vor Ort Kontakt zu Besuchern haben. | | Anhang 1a Artikelverweis, Überschrift sowie Ziff. 1.2 und 2 Anhang 1a (Art. 3b Abs. 5 und 6 sowie 3d Abs. 2 und 2a) Vorgaben für die Ausnahmen von der Maskentragpflicht und von der Kontaktquarantäne für geimpfte und genesene Personen 1.2 Die Dauer, während der geimpfte Bewohner sozialmedizinischer Institutionen von der Maskentragpflicht (Art. 3b Abs. 5 Bst. a) und geimpfte Personen nach der Impfung von der Kontaktquarantäne (Art. 3d Abs. 2 Bst. a) ausgenommen sind, beträgt 12 Monate ab vollständig erfolgter Impfung; beim Impfstoff von Janssen beträgt die Dauer 12 Monate ab dem 22. Tag nach erfolgter Impfung. 2 Genesene Personen Die Zeit, während der genesene Bewohner sozialmedizinischer Institutionen von der Maskentragpflicht (Art. 3b Abs. 5 Bst. b) und genesene Personen von der Kontaktquarantäne (Art. 3d Abs. 2 Bst. b) ausgenommen sind, beginnt am 11. Tag nach der Bestätigung der Ansteckung und dauert 6 Monate ab Bestätigung der Ansteckung. Anhang 4 Ziff. 1.1 1.1 Die Gültigkeit von Covid-19-Impfzertifikaten beginnt am Tag der vollständigen Impfung nach Anhang 1a Ziff. 1.1. | | II. Inkrafttreten Diese Verordnung tritt am 15. September 2021 in Kraft.“ |
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| 2. | Mit Schriftsatz vom 8. Oktober 2021 beantragten 1‘274 Antragsteller beim Staatsgerichtshof die Überprüfung der Verordnung vom 9. September 2021, LGBl. 2021 Nr. 285, auf ihre Verfassungs- und Gesetzmässigkeit. Beantragt wurde, der Staatsgerichtshof des Fürstentums Liechtenstein wolle die Verordnung vom 09. September 2021 über die Abänderung der Covid-19-Verordnung, LGBl.-Nr. 2021, 285, gemäss Art. 20 Abs. 1 lit. c StGHG in ihrer Gesamtheit als verfassungs- und staatsvertragswidrig aufheben; der Staatsgerichtshof wolle das Land Liechtenstein zum Ersatz der den Antragstellern entstandenen und nachstehend verzeichneten Kosten zuhanden deren ausgewiesenen Rechtsvertretern binnen vier Wochen bei sonstiger Exekution verpflichten. | | Auf die Ausführungen im Schriftsatz der Antragsteller wird, soweit relevant, untenstehend im Rahmen der Begründung eingegangen. |
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| 3. | Die Regierung erstattete mit Schreiben vom 23. November 2021 eine Äusserung und Beitrittserklärung an den Staatsgerichtshof. Sie stellte den Antrag, der Staatsgerichtshof wolle den Normenkontrollantrag vom 8. Oktober 2021 zurückweisen, in eventu ihm keine Folge geben. Für den Fall, dass der Staatsgerichtshof die Meinung der Regierung nicht teilen und eine Verfassungs- bzw. Gesetzwidrigkeit der Verordnung vom 9. September 2021 über die Abänderung der Covid-19-Verordnung, LGBl. 2021 Nr. 285, feststellen sollte, werde beantragt, die Rechtswirksamkeit dieser Aufhebung um ein Jahr aufzuschieben, um den Erlass einer entsprechenden Ersatzregelung zu ermöglichen. | | Auf die Ausführungen in der Äusserung der Regierung wird, soweit relevant, untenstehend im Rahmen der Begründung eingegangen. |
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| 4. | Der Staatsgerichtshof zog die Vorakten, soweit erforderlich, bei und beschloss in Folge Spruchreife, auf die Durchführung einer öffentlichen Schlussverhandlung zu verzichten. Nach Durchführung einer nicht-öffentlichen Schlussverhandlung, anlässlich welcher der Staatsgerichtshof beschloss, die Verfahren zu StGH 2021/081 und StGH 2021/082 gemäss Art. 46 Abs. 4 StGHG zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung zu verbinden, jedoch die Entscheidungen getrennt auszufertigen, wurde wie aus dem Spruch ersichtlich entschieden. |
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BEGRÜNDUNG | 1. | Nach Art. 39 StGHG nimmt der Staatsgerichtshof seine Zuständigkeit in jeder Lage des Verfahrens von Amtes wegen wahr. Der Staatsgerichtshof hat demnach von Amtes wegen zu prüfen, ob der ihm zur Entscheidung vorgelegte Normprüfungsantrag zulässig ist bzw. ob die Voraussetzungen für eine materielle Entscheidung vorliegen (statt vieler: StGH 2018/100, Erw. 1; StGH 2018/068, Erw. 1; StGH 2017/191, Erw. 1 [alle www.gerichtsentscheide.li]; siehe auch Tobias Michael Wille, Liechtensteinisches Verfassungsprozessrecht, LPS Bd. 43, Schaan 2007, 446 m. w. N.). | | 1.1 | Nach Art. 20 Abs. 1 Bst. c StGHG entscheidet der Staatsgerichtshof auf Antrag von mindestens 100 Stimmberechtigten über die Verfassungs- und Gesetzmässigkeit sowie über die Staatsvertragsmässigkeit von Verordnungen oder einzelnen Bestimmungen von Verordnungen, wenn dieser Antrag innert einem Monat seit der Kundmachung der Verordnung im Landesgesetzblatt gestellt wird. Gemäss Art. 20 Abs. 2 StGHG muss ein Antrag unter Darlegung der Gründe der behaupteten Verfassungs-, Gesetz- oder Staatsvertragswidrigkeit das Begehren enthalten, eine bestimmte Verordnung oder einzelne ihrer Bestimmungen aufzuheben. |
| | 1.2 | Dem Antrag auf Aufhebung der gesamten Verordnung vom 9. September 2021 über die Abänderung der Covid-19-Verordnung, LGBl. 2021 Nr. 285 (nachfolgend: Verordnung vom 9. September 2021), liegen Unterschriftenbögen mit insgesamt 1‘274 Unterschriften bei. Alle bis auf 75 Unterschriften wurden von den zuständigen Gemeinden als die Unterschriften Stimmberechtigter bestätigt bzw. nicht als doppelte Unterschriften erachtet; der Antrag wurde also von 1‘199 Stimmberechtigten gestellt. Die zu prüfende Verordnung wurde im LGBl. 2021 Nr. 285 vom 9. September 2021 kundgemacht und trat gemäss Artikel II. am 15. September 2021 in Kraft; der am 8. Oktober 2021 eingegangene Antrag ist somit fristgerecht erfolgt. |
| | 1.3 | Beim Antragsrecht nach Art. 20 Abs. 1 Bst. c StGHG handelt es sich um ein spezifisches verfassungsrechtliches Rechtsschutzmittel, das den Verordnungsgeber im Interesse der Sicherung der Entscheidungsprärogative des Gesetz- und Verfassungsgebers einer umfassenden Kontrolle unterwirft. Eines besonderen Interesses oder einer besonderen Auseinandersetzung der Antragsteller bedarf es daher nicht (StGH 2016/054, Erw. 1.3; StGH 2012/209, Erw. 1.2; StGH 2010/024, Erw. 1.3 [alle www.gerichtsentscheide.li]). |
| | 1.4 | Die Regierung macht in ihrer Äusserung geltend, die Antragsteller seien ihrer Rüge- und Substantiierungspflicht nicht nachgekommen. Nach der ständigen Rechtsprechung des österreichischen Verfassungsgerichtshofes zu § 57 Abs. 1 öVfGG hätten die Antragsteller (nur) all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bestimmungen eine untrennbare Einheit bildeten. Im vorliegenden Antrag seien das im Wesentlichen die Verordnungsbestimmungen über die Zertifikatspflicht (Art. 4a, 4b, 5, 11a, 12). Der Antrag, die gesamte Verordnung aufzuheben, sei aber zu weit, da Bestimmungen mitangefochten würden, gegen die gar keine konkreten Bedenken bzw. Ausführungen vorgebracht würden und zu denen auch kein konkreter Regelungszusammenhang zu den angeblich verfassungswidrigen Bestimmungen dargelegt werde (z.B. Art. 3b, 5c Abs. 2, Art. 6, Anhang 1a). Sodann fehle es dem Antrag weitgehend an der Klarstellung, welche Vorschrift oder welcher Teil einer Vorschrift der angefochtenen Verordnung nach Auffassung der Antragsteller aus welchem Grund aufgehoben werden solle, sodass die Antragsteller ihrer Rüge- und Substantiierungspflicht nicht nachgekommen seien. |
| | 1.5 | Die Substantiierungspflicht besagt, dass die antragstellende Partei konkret darlegen muss, worin die behauptete Verletzung ihrer Rechte besteht. Der Staatsgerichtshof ist nicht verpflichtet, die angefochtene Entscheidung auf sämtliche denkbaren Mängel hin zu untersuchen (Art. 20 Abs. 2 und Art. 40 Abs. 1 StGHG; vgl. StGH 2017/147, Erw. 1.3; StGH 2017/093, Erw. 1.3; StGH 2016/105, Erw. 2.3 [alle www.gerichtsentscheide.li]). Es ist der Regierung zuzustimmen, dass die Antragsteller sich vornehmlich nur zur Zertifikatspflicht aufgrund der 3G-Regel (geimpft, getestet oder genesen) für bestimmte Orte und nicht auch zu anderen Verordnungsbestimmungen äussern. Allerdings kann offengelassen werden, ob die Antragsteller gegen die Substantiierungspflicht verstossen, nachdem ihrem Antrag im Lichte der nachfolgenden Erwägungen jedenfalls keine Folge zu geben ist. |
| | 1.6 | Insgesamt ist somit materiell auf den gegenständlichen Normprüfungsantrag einzutreten. |
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| 2. | Aufgrund der Normenhierarchie und aus Gründen der Gewaltenteilung (Art. 92 LV) muss eine Verordnung nicht nur verfassungs- sondern auch gesetzeskonform sein (Art. 20 Abs. 1 StGHG). Im Rahmen der Normenkontrolle genügt es, die Verfassungswidrigkeit einer Verordnung allein aufgrund ihrer fehlenden gesetzlichen Grundlage geltend zu machen. Es ist nicht erforderlich, dass die Verordnung darüber hinaus auch materiell gegen ein Grundrecht verstösst (StGH 2004/001, Erw. 2.1 [www.gerichtsentscheide.li]; StGH 2002/084, LES 2005, 252 [258, Erw. 2.1]; siehe auch Stefan Becker, Das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht nach Massgabe der Praxis des Staatsgerichtshofes des Fürstentums Liechtenstein, Schaan 2003, 473 f.). | | 2.1 | Die Antragsteller rügen jedoch nicht allein die Gesetz- und damit Verfassungswidrigkeit der zu prüfenden Verordnung vom 9. September 2021 über die Abänderung der Covid-19-Verordnung. Vielmehr rügen sie, dass die Verordnung gegen mehrere Grundrechte verstosse und machen in diesem Zusammenhang auch eine ungenügende gesetzliche Grundlage geltend. Tatsächlich ist ein Eingriff in die meisten Grundrechte nur zulässig, wenn die Eingriffskriterien der gesetzlichen Grundlage, der Verhältnismässigkeit und des öffentlichen Interesses eingehalten werden (siehe Hilmar Hoch, Einheitliche Eingriffskriterien für alle Grundrechte?, in: Liechtenstein-Institut [Hrsg.], Beiträge zum liechtensteinischen Recht aus nationaler und internationaler Perspektive, Festschrift zum 70. Geburtstag von Herbert Wille, LPS Bd. 54, Schaan 2014, 199). Im Zusammenhang mit ihren Grundrechtsrügen machen die Antragsteller geltend, dass alle diese Grundrechtseingriffskriterien nicht erfüllt seien. |
| | 2.2 | Der vorliegende Normenkontrollantrag ist folgendermassen gegliedert: Zunächst wird auf die einzelnen, geltend gemachten Grundrechte eingegangen. Anschliessend erfolgt die Erörterung der drei erwähnten Grundrechtseingriffskriterien für alle Grundrechte gemeinsam, wobei teilweise schon bei den einzelnen Grundrechten Ausführungen, insbesondere zur Verhältnismässigkeit des jeweiligen Grundrechtseingriffs, gemacht werden. Es erscheint sinnvoll, im Wesentlichen dieser von den Antragstellern in ihrem Normenkontrollantrag vorgenommenen Gliederung zu folgen. Die Ausführungen zu den einzelnen Grundrechten beschränken sich allerdings auf die Frage, ob der sachliche Geltungsbereich des jeweiligen Grundrechts von der hier angefochtenen Verordnung vom 9. September 2021 und insbesondere durch die Zertifikatspflicht aufgrund der 3G-Regel tangiert ist. Sofern die Antragsteller auch Ausführungen zum öffentlichen Interesse und zur Verhältnismässigkeit machen, wird primär auf die anschliessenden allgemeinen Ausführungen zu diesen Grundrechtseingriffskriterien verwiesen. Eine Ausnahme ist aber beim Gleichheitssatz zu machen, da die allgemeinen Grundrechtseinschränkungskriterien primär auf die klassischen Freiheitsrechte, nicht aber auf den Gleichheitssatz der Verfassung angewendet werden können (siehe Hoch, Einheitliche Eingriffskriterien, a. a. O., 197). Die Gleichheitsrüge ist entsprechend ausführlich zu behandeln, wobei auch hier verschiedene Verweise auf die allgemeinen Ausführungen zu den Grundrechtseingriffskriterien gemacht werden können. |
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| 3. | Bevor auf die einzelnen Grundrechtsrügen eingegangen wird, erscheinen einige allgemeine Erwägungen zu den besonderen Anforderungen, welche die Covid-Pandemie an den Rechtsstaat stellt, und den daraus für die vorliegende Normprüfung zu ziehenden Schlussfolgerungen angezeigt. | | 3.1 | Die Covid-Pandemie stellt die Behörden weltweit vor schwierige Entscheidungen. Sie müssen regelmässig unter Zeitdruck über Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie auf der Grundlage beschränkter, sich teilweise widersprechender wissenschaftlicher Erkenntnisse und statistischer Daten entscheiden. Hierbei muss den Behörden und insbesondere auch dem Gesetz- und dem Verordnungsgeber ein grosser Entscheidungsspielraum gelassen werden. Jedenfalls ist es den Gerichten nicht möglich, mit dem ihnen zur Verfügung stehenden Instrumentarium eine engmaschige Überprüfung solcher behördlichen Entscheidungen vorzunehmen. In diesem Zusammenhang spricht etwa das deutsche Bundesverfassungsgericht gerade auch im Zusammenhang mit Covid-Massnahmen von der „Einschätzungsprärogative“ des Gesetzgebers und der österreichische Verfassungsgerichtshof vom „Einschätzungs- und Prognosespielraum“ des Verordnungsgebers (BVerfG, 1 BvR 781/21 u. a., Beschluss vom 19. November 2021, Rn. 277, und 1 BvR 1027/20, Beschluss vom 12. Mai 2020, Rn. 7 f.; VfGH, V 35/2021-7, Erkenntnis vom 10. Juni 2021, Rn. 21, und G 272/2020, Erkenntnis vom 1. Oktober 2020, Rn. 55; siehe auch die weiteren Rechtsprechungsnachweise in der Äusserung der Regierung: VfGH, V 363/2020-25, Rz. 57 ff.; Urteile des Bundesgerichts 2C_793/2020, 2C_941/2020 und 2C_8/2021). |
| | 3.2 | Hinzu kommt, dass diese behördlichen Entscheidungen im Spannungsfeld divergierender, wesentlich auch grundrechtlicher Interessen erfolgen müssen. Primär geht es natürlich um den adäquaten Schutz des Grundrechts auf Leben und körperliche und seelische Unversehrtheit insbesondere von kranken und gefährdeten Personen und Bevölkerungsgruppen – letztlich aber der gesamten Bevölkerung. Andererseits greifen die zum Schutz dieses Grundrechts verfügten Massnahmen in verschiedene andere Grundrechte ein, so neben den wirtschaftlichen Grundrechten der Handels- und Gewerbefreiheit und der Eigentumsgarantie auch etwa in die Versammlungsfreiheit, wie dies auch von den Antragstellern geltend gemacht wird. Zudem können sich die behördlichen Massnahmen sogar im Lichte ein- und desselben Grundrechts kontrovers auswirken: So soll mit den ergriffenen Massnahmen einerseits die Zahl der Covid-Erkrankungen und -Todesfälle reduziert werden; gleichzeitig wird die (insbesondere psychische) Gesundheit der in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkten oder wirtschaftlichen Zwangslagen ausgesetzten Bevölkerung beeinträchtigt (siehe Patricia M. Schiess Rütimann, Der Schutz von Gesundheit und Gesundheitswesen. Die Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus gemäss liechtensteinischem Recht, in: Jusletter 15. Februar 2021, 12 ff. m. w. N.). Auch wirtschaftliche Einschränkungen können sich kurzfristig als Einschränkungen insbesondere der Handels- und Gewerbefreiheit auswirken; mittel- oder längerfristig können sie aber dazu dienen, noch gravierendere Eingriffe in dieses Grundrecht, insbesondere weitere Lockdowns, zu vermeiden. |
| | 3.3 | Wenn gegensätzliche Grundrechtsinteressen aufeinanderstossen, spricht man von einem Grundrechtskonflikt. Die behördlichen Corona-Massnahmen bilden dabei „ein geradezu lehrbuchmässiges Beispiel“ eines solchen Grundrechtskonflikts (Daniel Moeckli, Grundrechte in Zeiten von Corona, ZBl 121/2020, 237; zitiert nach Schiess Rütimann, Schutz von Gesundheit, a. a. O., 15). Solche Grundrechtskonflikte sind nach der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes unter angemessener Berücksichtigung der einander entgegenstehenden Grundrechtsinteressen in einem umsichtigen Abwägungsprozess zu lösen („praktische Konkordanz“; siehe StGH 2019/051, Erw. 3.2; StGH 2018/121, Erw. 7.3 ff. [beide www.gerichtsentscheide.li]; siehe auch Tobias Michael Wille, Verfassungs- und Grundrechtsauslegung in der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes, in: Liechtenstein-Institut [Hrsg.], Beiträge zum liechtensteinischen Recht aus nationaler und internationaler Perspektive, Festschrift zum 70. Geburtstag von Herbert Wille, LPS Bd. 54, Schaan 2014, 174 f.). Hierzu ist primär der Gesetzgeber berufen, der Staatsgerichtshof anerkennt auch unter diesem Gesichtspunkt eine „Entscheidungsprärogative“ des Gesetzgebers (Schiess Rütimann, Schutz von Gesundheit, a. a. O., 15 mit Verweis auf StGH 2007/118, LES 2009, 1 [4, Erw. 3] sowie StGH 2012/209, Erw. 3.6.2 [beide www.gerichtsentscheide.li]). Soweit – wie im vorliegenden Fall (siehe Erw. 5.1 ff.) – eine verfassungskonforme Delegation vom Gesetzgeber an den Verordnungsgeber erfolgt ist, muss eine entsprechende judikative Zurückhaltung auch gegenüber der Normsetzung durch die Regierung gelten, zumal dann, wenn die Regierung dem Landtag wie bei der Corona-Pandemie regelmässig Rechenschaft über ihre Verordnungstätigkeit ablegt (siehe auch Erw. 5.1.5). |
| | 3.4 | Insgesamt ergibt sich somit eine doppelte Komplexität der behördlichen Entscheidungsfindung bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie – sowohl hinsichtlich der unübersichtlichen und sich schnell ändernden Datenbasis als auch wegen kollidierenden, gegeneinander abzuwägenden Grundrechtsgarantien. Umso mehr ist eine gewisse Zurückhaltung des Staatsgerichtshofes bei der Beurteilung der Verfassungskonformität der hier zu prüfenden Covid-Verordnung angezeigt. |
| | 3.5 | Schliesslich ist in diesem Zusammenhang auch noch die besondere Situation eines Kleinstaates gerade auch bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie zu beachten: | | Ein Kleinstaat wie Liechtenstein hat schon gar nicht die Ressourcen, um die sich dauernd ändernde Corona-Lage wirklich eigenständig beurteilen zu können. Deshalb muss er sich primär auf die Erkenntnisse ausländischer Behörden stützen. Zudem ist Liechtenstein mit seinen beiden Nachbarstaaten wirtschaftlich besonders eng verflochten, wobei aus dem Blickwinkel der Corona-Pandemie die tausenden in Liechtenstein arbeitenden österreichischen und schweizerischen Pendler eine besondere Herausforderung darstellen. Abgesehen davon ist Liechtenstein trotz eines gewissen Spielraumes bei der Auswahl der Massnahmen zur Umsetzung des schweizerischen Epidemiengesetzes aufgrund des Zollvertrages auch rechtlich verpflichtet, im Ergebnis gleich effektive Massnahmen zur Eindämmung von Corona zu ergreifen wie die Schweiz (siehe Patricia M. Schiess Rütimann, Der Zollvertrag und die Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus, Arbeitspapier Liechtenstein-Institut, Bendern 2020, 20 f.). Aufgrund dieser engen Verflechtung wäre insbesondere eine von der Schweiz wesentlich abweichende Corona-Politik gar nicht praktikabel. |
| | 3.6 | Im Lichte der weitgehenden Übereinstimmung der liechtensteinischen mit den ausländischen Massnahmen darf schliesslich auch berücksichtigt werden, dass die Schweiz und die anderen Nachbarstaaten ebenfalls EMRK-Mitgliedstaaten sind und entsprechend bemüht sein werden, ihre Covid-Massnahmen EMRK-konform auszugestalten (vgl. Schiess Rütimann, Schutz von Gesundheit, a. a. O., 15). |
| | 3.7 | Auch unter diesem Gesichtspunkt hat der Staatsgerichtshof dem „Einschätzungs- und Prognosespielraum“ des liechtensteinischen Verordnungsgebers angemessen Rechnung zu tragen, solange dieser nicht wesentlich von den Vorgaben der Schweiz und der anderen Nachbarstaaten abweicht. Tatsächlich hält sich aber die Verordnung vom 9. September 2021 weitgehend an das schweizerische Pendant, nämlich die Covid-19-Verordnung besondere Lage vom 23. Juni 2021 (SR 818.101.26). Gerade dies machen die Antragsteller letztlich der Regierung denn auch zum Vorwurf. |
| | 3.8 | Die Prüfung ist daher im Lichte der vorstehenden Erwägungen vorzunehmen. |
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| 4. | Im Folgenden ist auf die einzelnen von den Antragstellern durch die Verordnung vom 9. September 2021 als verletzt gerügten Grundrechte einzugehen, konkret auf den allgemeinen sowie den Geschlechtergleichheitssatz (31 Abs. 1 und 2 LV), die Handels- und Gewerbefreiheit (Art. 36 LV), die Vermögenserwerbsfreiheit (Art. 28 Abs. 1 LV), die Eigentumsgarantie (Art. 34 LV), die Versammlungsfreiheit (Art. 41 LV/Art. 11 EMRK), die Religionsfreiheit (Art. 37 LV/Art. 9 EMRK), das Verbot unmenschlicher Behandlung (Art. 27bis Abs. 2 LV), das Recht auf persönliche Freiheit und den Schutz der Privat- und Geheimsphäre einschliesslich des Hausrechts (Art. 32 Abs. 1 LV). | | 4.1 | Zunächst bestreitet die Regierung, dass das Verbot unmenschlicher Behandlung, das Hausrecht sowie die Religionsfreiheit überhaupt betroffen sind. | | 4.1.1 | Die Antragsteller sehen eine unmenschliche Behandlung im von der 3G-Regel ausgehenden „indirekten Impf- und/oder Testzwang“. Die Regierung bestreitet dies. Art. 27bis Abs. 2 LV knüpft an Art. 3 EMRK an. Schutzgut ist die physische und psychische Integrität der Grundrechtsträger, wogegen sowohl Massnahmen mit Sanktionscharakter als auch Behandlungen durch den Staat verstossen können. Unmenschlich ist eine Behandlung, die absichtlich schwere psychische oder physische Leiden verursacht. Bei der betroffenen Person werden dabei Gefühle von Furcht und Erniedrigung hervorgerufen. Demgegenüber steht bei der erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung nicht die Zufügung von Schmerzen, sondern das Element der Demütigung im Vordergrund (siehe Peter Bussjäger, Der Schutz der Menschenwürde und des Rechts auf Leben, in: Kley/Vallender [Hrsg.], Grundrechtspraxis in Liechtenstein, LPS Bd. 52, Schaan 2012, 122, Rz. 20 f.). |
| | 4.1.2 | Der Regierung ist zuzustimmen, dass hier von alledem nicht die Rede sein kann. Die 3G-Regel stellt zwar durchaus einen Anreiz zum Impfen dar, aber von einem auch nur indirekten „Impfzwang“ kann nicht gesprochen werden. Die 3G-Regel kann auch nicht als für einzelne Personengruppen erniedrigend bezeichnet werden, nachdem sie für die gesamte Bevölkerung gilt. |
| | 4.1.3 | Was das Hausrecht betrifft, so wäre dieses nur dann betroffen, wenn ein behördlicher Zugang zu einer Liegenschaft oder Wohnung erzwungen würde oder umgekehrt die Behörde den Zugang zur Wohnung hindert, sofern diese den Lebensmittelpunkt darstellt (Marzell Beck/Andreas Kley, Freiheit der Person, Hausrecht sowie Brief- und Schriftengeheimnis, in: Kley/Vallender [Hrsg.], Grundrechtspraxis in Liechtenstein, LPS Bd. 52, Schaan 2012, 137, Rz. 12 m. w. N.; siehe auch StGH 2020/042, Erw. 3.1 [www.gerichtsentscheide.li]). Die Antragsteller machen aber nur geltend, dass die Verordnung vorschreibe, wen beispielsweise ein Eigentümer eines Restaurants in seinem Restaurant empfangen dürfe. Dies beeinträchtigt jedoch nur die Nutzung von kommerziellen Räumlichkeiten, was die Handels- und Gewerbefreiheit tangiert. Die von den Antragstellern in diesem Zusammenhang ebenfalls geltend gemachte Eigentumsgarantie ist grundsätzlich zwar auch tangiert, doch kommt ihr neben der primär betroffenen Handels- und Gewerbegarantie keine eigenständige Schutzwirkung zu. Es ist deshalb im Weiteren nur auf Letztere näher einzugehen (siehe Erw. 4.2 ff.). |
| | 4.1.4 | Zur Religionsfreiheit führt die Regierung aus, dass die 3G-Regel gemäss Art. 5 Abs. 2 der Verordnung vom 9. September 2021 für religiöse Veranstaltungen nicht zwingend ist. Wenn die 3G-Regel aber nicht angewendet wird, besteht Masken- und Abstandspflicht und es muss ein Schutzkonzept bestehen. Die Regierung argumentiert nun zu Recht, dass diese Alternative zur 3G-Regel von den Antragstellern nicht infrage gestellt wird. Damit geht die Rüge der Verletzung der Religionsfreiheit von vornherein ins Leere. |
| | 4.1.5 | Alle diese Grundrechte sind somit von der Verordnung vom 9. September 2021 nicht tangiert. |
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| | 4.2 | Die Antragsteller rügen weiter eine Verletzung sowohl der Handels- und Gewerbefreiheit als auch der Vermögenserwerbsfreiheit. Die Verordnung beschränke den Zugang zu Gastronomie-, Bar- und Clubbetrieben, Diskotheken und Tanzlokalen, grösseren Veranstaltungen, Kultur-, Unterhaltungs-, Freizeit- und Sporteinrichtungen auf Personen, welche über ein Covid-19-Zertifikat verfügen. Dies verletze die Vertragsfreiheit als Teilgehalt der Handels- und Gewerbefreiheit. Auch deren weitere Teilgehalte der Standortwahlfreiheit und des Verbots der Ungleichbehandlung von Konkurrenten bzw. Gewerbegenossen seien (faktisch) betroffen, da die betreffenden Betriebe teilweise keinen Aussenbereich hätten, wo sie „nicht zertifizierte Personen“ empfangen könnten. Schliesslich werde in die nach Art. 28 Abs. 1 LV geschützte Vermögenserwerbsfreiheit eingegriffen, zumal die Freiheit, mit Gästen ihr Geld zu verdienen, für viele Handels- und Gewerbetreibende mit der angefochtenen Verordnung krass eingeschränkt sei. | | 4.2.1 | Wie die Antragsteller ausführen, ist die Vertragsfreiheit ein Teilgehalt der Handels- und Gewerbefreiheit (siehe StGH 2004/074, LES 2007, 1 [5, Erw. 2.4] [www.gerichtsentscheide.li]). Den Antragstellern ist zuzustimmen, dass die Vertragsfreiheit der Betriebe in der Gastronomie und Unterhaltungsbranche durch die Verordnung vom 9. September 2021 tangiert wird. Hingegen gilt dies nicht für den Teilgehalt der Standortwahlfreiheit, welche zwar die freie Wahl des Standortes der Betriebsstätte schützt, nicht aber vor allfälligen negativen wirtschaftlichen Auswirkungen im Zusammenhang mit dieser Wahl (vgl. Klaus A. Vallender, Handels- und Gewerbefreiheit, in: Kley/Vallender [Hrsg.], Grundrechtspraxis in Liechtenstein, LPS Bd. 52, Schaan 2012, 729, Rz. 10). Was die Gleichbehandlung der Gewerbegenossen angeht, so beschlägt dieser weitere Teilanspruch der Handels- und Gewerbefreiheit die Ungleichbehandlung direkter Konkurrenten, überschneidet sich im Übrigen aber mit dem allgemeinen Gleichheitssatz. Die entsprechende Rüge ist deshalb zusammen mit der Rüge der Verletzung des Gleichheitssatzes in Erwägung 4.6.8 zu prüfen (vgl. StGH 2013/149, Erw. 6.1 [www.gerichtsentscheide.li] sowie Klaus A. Vallender, Handels- und Gewerbefreiheit, a. a. O., 734, Rz. 19). |
| | 4.2.2 | Von vornherein nicht betroffen ist schliesslich die Vermögenserwerbsfreiheit. Diese schützt nicht die freie wirtschaftliche Betätigung, sondern das hier offensichtlich nicht betroffene Recht des Nichteigentümers, frei Vermögen und damit Eigentum zu erwerben (siehe Klaus A. Vallender/Hugo Vogt, Eigentumsgarantie, in: Kley/Vallender [Hrsg.], Grundrechtspraxis in Liechtenstein, LPS Bd. 52, Schaan 2012, 692, Rz. 4 m. w. N.). |
| | 4.2.3 | Somit ist nur auf die Rüge der Verletzung der Vertragsfreiheit weiter einzugehen. Dabei stellt sich insbesondere in Bezug auf die Anforderungen an die gesetzliche Grundlage die Frage, ob hier ein leichter oder schwerer Eingriff in die Handels- und Gewerbefreiheit vorliegt. Nach Auffassung des Staatsgerichtshofes hatten die – wenn auch nur temporären – Zwangsschliessungen der betroffenen Betriebe während den Lockdowns einen schweren Eingriff in die Handels- und Gewerbefreiheit dargestellt. Das 3G-Regime führt dagegen „nur“ zu (wenn auch teilweise empfindlichen) Umsatzeinbussen. Nach Auffassung des Staatsgerichtshofes stellt deshalb das 3G-Regime keinen schweren Eingriff in die Handels- und Gewerbefreiheit dar. |
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| | 4.3 | Die Antragsteller rügen weiter eine Verletzung der Versammlungsfreiheit gemäss Art. 41 LV / Art. 11 EMRK sowie der Meinungsfreiheit gemäss Art. 40 LV/Art. 10 EMRK und begründen dies wie folgt: | | 4.3.1 | Versammlungen, an welchen über 50 Personen teilnehmen und Versammlungen, welche bspw. im Innenraum eines Restaurants abgehalten werden (wie dies für viele Versammlungen in Liechtenstein häufig der Fall sei, z. B. in einem grösseren Saal eines Restaurants) seien von der antragsgegenständlichen Verordnung betroffen. Alle Personen, die über kein Zertifikat verfügten, seien von einer Teilnahme ausgeschlossen. Ebenso werde der Teilaspekt der inhaltlichen Gestaltungsfreiheit einer Versammlung tangiert, weil die Organisatoren der Versammlung zur Sicherstellung, dass alle Willigen teilnehmen könnten, die Versammlung an einem Ort abhalten müssten, an welchem die 3G-Regel nicht gelte. In diesem Zusammenhang sei auch ein Eingriff in die Meinungsäusserungsfreiheit nach Art. 40 LV / Art. 10 EMRK zu sehen, indem nicht zertifizierten Personen durch die 3G-Zugangsbeschränkung verunmöglicht werde, ihre Meinung an gewissen Orten kundzutun bzw. in diesem Zusammenhang an gewissen Orten ungehindert Informationen erhalten zu können (Informationsfreiheit). |
| | 4.3.2 | Die Regierung äussert sich in ihrer Stellungnahme nicht zu dieser Grundrechtsrüge. Es ist aber offensichtlich, dass das 3G-Regime die Versammlungsfreiheit tangiert, weil es die Abhaltung von Versammlungen von über 50 Personen in geschlossenen Räumen doch nicht unwesentlich erschwert. Demgegenüber ist die Abhaltung von Versammlungen im Freien gemäss Art. 3c der Covid-19-Verordnung nach wie vor möglich, sofern der erforderliche Abstand eingehalten wird bzw. eine Maske getragen wird, und für die Abhaltung von Versammlung von unter 50 Personen in geschlossenen Räumen ist ein Schutzkonzept vorzusehen. Entsprechend kann nur von einem leichten Eingriff in die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit gesprochen werden. |
| | 4.3.3 | Was die Meinungsfreiheit angeht, so steht diese in einem engen sachlichen Zusammenhang mit der Versammlungsfreiheit, beide dienen „dem übergeordneten Ziel der Freiheit des Kommunikationsprozesses“ (siehe Peter Nägele, Vereins- und Versammlungsrecht, in: Kley/Vallender [Hrsg.], Grundrechtspraxis in Liechtenstein, LPS Bd. 52, Schaan 2012, 216, Rz. 2). Im vorliegenden Kontext ist primär die kollektive Meinungsäusserung in Form der Versammlungsfreiheit betroffen; die individuelle Möglichkeit der Meinungskundgabe wird durch die Corona-Massnahmen und insbesondere durch die 3G-Regel nicht beeinträchtigt. Die grundrechtliche Meinungsfreiheit ist deshalb hier nicht weiter relevant. |
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| | 4.4 | Die Antragsteller rügen weiter eine Verletzung ihres Grundrechts auf persönliche Freiheit gemäss Art. 32 Abs. 1 LV. | | 4.4.1 | Laut den Antragsstellern wird die körperliche Integrität durch jeden Eingriff in den menschlichen Körper tangiert. Eine eigentliche Schädigung oder die Verursachung von Schmerzen werde nicht vorausgesetzt. Schon die Extraktion einiger Haare oder die Durchführung einer Urinprobe stelle einen Eingriff in die persönliche Freiheit dar. Die Vornahme eines Nasen-Rachen-Abstrichs mittels Stäbchen oder die Injektion einer mRNA-Impfung zwecks Erlangung der vollständigen Bewegungsfreiheit (Zutritt zu Orten mit 3G-Pflicht) stellten zweifelsohne Eingriffe in den menschlichen Körper dar. Die Regierung mache auch kein Geheimnis daraus, dass mit der breiten 3G-Regelung die Bevölkerung einen „Anreiz“ erhalten solle, sich impfen zu lassen. Dies sei jedoch nichts anderes als ein indirekter Impf- und/oder Testzwang. |
| | 4.4.2 | Die Regierung hält dem entgegen, dass die persönliche Freiheit nur elementare Erscheinungsformen der Persönlichkeitsentfaltung umfasse. In der Literatur würden unter die „elementaren Erscheinungsformen der Persönlichkeitsentfaltung“ etwa Eingriffe in das Recht auf eigenen Namen oder in die zivilrechtliche Handlungsfähigkeit, ferner Ausgangssperren und das Verbot, Gäste privat zu empfangen, subsumiert. Hinsichtlich Einschränkungen des Besuchs von Restaurants könne hingegen mit guten Gründen vertreten werden, dass diesfalls kein Eingriff in Art. 32 Abs. 1 LV vorliege, soweit die Möglichkeit bestehe, Speisen und Getränke abzuholen oder diese liefern zu lassen. Hingegen dürfte ein Eingriff vorliegen, wenn der Zugang zu Sport- und Kultureinrichtungen beschränkt werde. Beim Zugang zu Bar- und Clubbetrieben sowie zu Diskotheken und Tanzlokalen erscheine dies wiederum weniger klar. Im Ergebnis könne davon ausgegangen werden, dass die Zertifikatspflicht einen Eingriff in die Freiheit der Person darstelle, soweit diese Beschränkungen des Zugangs zu Stätten der Kultur und des Sports zur Folge habe. |
| | 4.4.3 | Hierzu ist Folgendes zu erwägen: | | In Liechtenstein schützt das Grundrecht auf persönliche Freiheit gemäss Art. 32 Abs. 1 LV – wie auch Art. 8 EMRK – sowohl die körperliche als auch die psychische Integrität der menschlichen Persönlichkeit und ihre elementaren Entfaltungsmöglichkeiten (vgl. StGH 2017/090, Erw. 3.1; StGH 2014/029, Erw. 4.1; StGH 2013/117, Erw. 3.1 [alle www.gerichtsentscheide.li]; siehe hierzu auch Marzell Beck/Andreas Kley, Freiheit der Person, Hausrecht sowie Brief- und Schriftengeheimnis, in: Kley/Vallender [Hrsg.], Grundrechtspraxis in Liechtenstein, LPS Bd. 52, Schaan 2012, 134 f., Rz. 7 m. w. N.). Ähnlich dem schweizerischen Bundesgericht, jedoch im Gegensatz zum deutschen Bundesverfassungsgericht, interpretiert der Staatsgerichtshof die Freiheit der Person nicht im Sinne des Schutzes einer allgemeinen Handlungsfreiheit. Indessen beinhaltet die Freiheit der Person gemäss Art. 32 Abs. 1 LV ebenso wie Art. 5 EMRK jedenfalls die Freiheit vor Verhaftung bzw. vor Haft im Sinne einer Bewegungsfreiheit (StGH 2020/085, Erw. 2.2; StGH 2017/090, Erw. 3.1; StGH 2012/191, Erw. 2.1 [alle www.gerichtsentscheide.li]). |
| | 4.4.4 | Dieser Schutz der elementaren Erscheinungsformen der Persönlichkeit enthält als einen Teilbereich auch die Bewegungsfreiheit, die wiederum zwei Teilgehalte aufweist, nämlich einerseits den Schutz vor Eingrenzung respektive Festhaltung und andererseits den Schutz vor Ausgrenzung. Was den ersten Teilgehalt der Bewegungsfreiheit, die Eingrenzung, anbelangt, wird die persönliche Entfaltung dann beschränkt, wenn eine Eingrenzung auf einen allzu engen Bereich erfolgt. Je kleiner der Bereich ist, innerhalb dessen eine Person sich bewegen kann, desto weniger Möglichkeiten zur selbstgesteuerten Gestaltung des Lebens verbleiben ihr. Bei einer Ausgrenzung ist dieses Problem deutlich entschärft, denn den betroffenen Personen verbleiben ungleich grössere Handlungsalternativen. Ausgrenzungen sind mithin nur in Ausnahmefällen geeignet, Leben, Freiheit und die selbstbestimmte Gestaltung des Lebens einzuschränken, und sind damit nur grundrechtsrelevant, wenn den betroffenen Personen keine Handlungsalternative verbleibt (StGH 2012/209, Erw. 3.4.2 ff. [www.gerichtsentscheide.li]). |
| | 4.4.5 | Der Staatsgerichtshof machte diese Erwägungen in StGH 2012/209 im Zusammenhang mit sogenannten Wildruhezonen. In diesen besonders ausgewiesenen Zonen sind Freizeitaktivitäten stark eingeschränkt. Bei diesem Sachverhalt bestehen für Wanderer und Wintersportler offensichtlich genügend räumliche Handlungsalternativen. Im vorliegenden Kontext bestehen dagegen keine räumlichen Handlungsalternativen: Wer die 3G-Voraussetzungen nicht erfüllt, ist von allen betreffenden Räumlichkeiten ausgeschlossen. Immerhin besteht eine Handlungsalternative insoweit, als ein 3G-Zertifikat erworben werden kann, um Zugang zu diesen Räumlichkeiten zu erhalten. Gerade die Verfassungsmässigkeit dieser Handlungsalternative wird von den Antragstellern aber ebenfalls in Abrede gestellt. Entsprechend ist fraglich, ob hier ein analoger Fall zu StGH 2012/209 vorliegt. |
| | 4.4.6 | Jedenfalls geht auch die Regierung gestützt auf Schiess Rütimann davon aus, dass die Zertifikatspflicht einen Eingriff in die Freiheit der Person darstelle, soweit diese eine Beschränkung des Zugangs zu Stätten der Kultur und des Sports zur Folge habe (siehe Schiess Rütimann, Schutz von Gesundheit, a. a. O., 19). Letztlich kann diese Frage hier aber offen gelassen werden. Denn wenn das Grundrecht auf persönliche Freiheit hier überhaupt betroffen ist, dann erfolgt mit der vorliegenden Verordnung und insbesondere mit dem 3G-Regime in Anbetracht der bestehenden Handlungsalternative von Schnell- und PCR-Tests jedenfalls nur ein leichter Eingriff in das Grundrecht auf persönliche Freiheit. |
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| | 4.5 | Die Antragsteller rügen auch eine Verletzung des ebenfalls in Art. 32 Abs. 1 LV verankerten Schutzes der Geheim- und Privatsphäre, konkret des Anspruchs auf Datenschutz bzw. auf Schutz der „informationellen Integrität“. | | 4.5.1 | Tatsächlich stellt der Datenschutz bzw. der Schutz der informationellen Selbstbestimmung einen Teilaspekt des Schutzes der Privatsphäre gemäss Art. 32 Abs. 1 LV und Art. 8 EMRK dar. Der Anwendungsbereich des grundrechtlichen Datenschutzes umfasst jeden Umgang mit personenbezogenen Daten ungeachtet der Verfahren der Datenbearbeitung und unabhängig davon, ob die Datenbearbeitung fallweise erfolgt oder ob die personenbezogenen Daten in einer erschliessbaren Datensammlung bearbeitet werden (StGH 2014/011, Erw. 3.1; StGH 2013/036, Erw. 3 [www.gerichtsentscheide.li]). |
| | 4.5.2 | Die Antragsteller bringen vor, durch das notwendige Vorzeigen eines Covid-19-Zertifikats überall dort, wo die 3G-Regel gelte, müsse die jeweilige Person Umstände aus ihrer Privatsphäre bekanntgeben, welche grundsätzlich nur die Person selbst und allenfalls deren Arzt etwas angingen. Damit werde der Gehalt des Rechts auf Privat- und Geheimsphäre sowie der Datenschutz regelrecht ausgehöhlt. Im Hinblick auf die DSGVO sei dabei nicht unproblematisch und auch widersprüchlich, dass der datenschutzrechtliche Löschungsanspruch grundsätzlich zu einem „Entzug“ des Covid-Zertifikats führe. |
| | 4.5.3 | Die Regierung verweist zu diesem Vorbringen auf Art. 11a Abs. 3a der Verordnung, wonach die Überprüfung der Authentizität, Integrität und Gültigkeit eines Covid-19-Zertifikats anhand einer vom Amt für Gesundheit anerkannten Überprüfungs-App erfolgt. Bei der Kontrolle würden nur QR-Code und Signatur überprüft. Das Covid-19-Zertifikat sei (mit Ausnahme des Covid-19-Genesungszertifikates aufgrund von Antikörpertests nach Art. 11c Covid-19-Verordnung) zudem nach den Vorgaben des Unionsrechts ausgestaltet. Die Verordnung (EU) 2021/953 zum digitalen Covid-Zertifikat der EU (DCC-VO) stelle die Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung i. S. v. Art. 6 Abs. 1 Bst. c und Art. 9 Abs. 2 Bst. g DSGVO dar. Auch sei es unproblematisch, wenn der datenschutzrechtliche Löschungsanspruch zu einem „Entzug“ des Covid-19-Zertifikats führe, zumal die Inanspruchnahme datenschutzrechtlicher Ansprüche selbst nicht datenschutzrechtlich problematisch sein könne, auch wenn sie negative (aber eben in Kauf genommene) Folgen in anderen Rechtsgebieten wie dem Epidemienrecht zeitige. |
| | 4.5.4 | Den Ausführungen der Regierung ist zuzustimmen. Soweit sich das Covid-19-Zertifikat auf die in Art. 11a der Verordnung vom 9. September 2021 explizit angeführte Verordnung (EU) 2021/953 (siehe Erw. 5.1.10) sowie auf die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und somit auf EWR-Recht stützt, besteht wegen des grundsätzlichen Vorrangs des EWR-Rechts kein Anlass, die Verfassungsmässigkeit dieser Regelung zu überprüfen (siehe StGH 2017/160, Erw. 11.2; StGH 2011/200, Erw. 3.2; StGH 2006/094, Erw. 2.1 [beide www.gerichtsentscheide.li]). |
| | 4.5.5 | Im Übrigen tangiert die 3G-Regelung aber durchaus den sachlichen Geltungsbereich des grundrechtlichen Anspruchs auf Datenschutz (vgl. Schiess Rütimann, Schutz von Gesundheit, a. a. O., 10). Da es hier aber von vornherein um keine individualisierten Daten geht, sondern einzig die Erfüllung einer der Zertifizierungsvoraussetzungen nachgewiesen werden muss, liegt jedenfalls nur ein leichter Grundrechtseingriff vor. |
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| | 4.6 | Die Antragsteller erheben weiter eine mehrteilige Rüge der Verletzung des Gleichheitssatzes. | | 4.6.1 | Der Gleichheitssatz nach Art. 31 Abs. 1 LV verlangt, dass Gleiches nach Massgabe seiner Gleichheit gleich, Ungleiches nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich behandelt wird (StGH 2018/124, LES 2019, 117 [118, Erw. 2.1]; StGH 2018/074, Erw. 3.1; StGH 2017/131, Erw. 3.1 [alle www.gerichtsentscheide.li]; siehe auch Andreas Kley/Hugo Vogt, Rechtsgleichheit und Grundsatz von Treu und Glauben, in: Kley/Vallender [Hrsg.], Grundrechtspraxis in Liechtenstein, LPS Bd. 52, Schaan 2012, 255, Rz. 10). | | Bei der Rechtssetzung, so auch beim Erlass von Verordnungen, fällt im Gegensatz zur Rechtsanwendung der Schutzbereich des Gleichheitsgebots weitgehend mit demjenigen des Willkürverbots zusammen, da die Prüfung eines allfälligen Verstosses gegen das Gleichheitsgebot in der Regel darauf zu beschränken ist, ob durch die entsprechende Norm gleich zu behandelnde Sachverhalte bzw. Personengruppen ohne einen vertretbaren Grund ungleich behandelt werden (StGH 2017/087, Erw. 4.1.2; StGH 2016/024, Erw. 2.2; StGH 2014/027, Erw. 2.3.1 [alle www.gerichtsentscheide.li]; siehe auch Hugo Vogt, Das Willkürverbot und der Gleichheitsgrundsatz in der Rechtsprechung des liechtensteinischen Staatsgerichtshofes, LPS Bd. 44, Schaan 2008, 75 ff.). Einen über die Willkürprüfung hinausgehenden strengen Massstab hat sich der Staatsgerichtshof abgesehen von gesetzgeberischen Verstössen gegen das Geschlechtergleichheitsgebot gemäss Art. 31 Abs. 2 LV nur bei die Menschenwürde tangierenden Diskriminierungen vorbehalten, so z. B. eine Unterscheidung nach Geschlecht, Religion, ethnischer Zugehörigkeit oder Sprache (StGH 2016/024, Erw. 2.2; StGH 2014/027, Erw. 2.3.1; StGH 2013/009, Erw. 4.1 [alle www.gerichtsentscheide.li]). |
| | 4.6.2 | Die Antragsteller machen mit Ausnahme eines Verstosses gegen das Geschlechtergleichheitsgebot keine die Menschenwürde tangierende Diskriminierung im Zusammenhang mit der Verordnung vom 9. September 2021 geltend. | | Zur Rüge der Verletzung des Geschlechtergleichheitsgebots führen die Antragsteller aus, die 3G-Regel verstosse gegen das Diskriminierungsverbot, weil Schwangeren eine Impfung erst ab dem 2. Schwangerschaftsdrittel empfohlen werde. Damit würden schwangere Frauen im Vergleich zu Männern schlechter gestellt, weil sie im ersten Schwangerschaftsdrittel – sofern sie nicht zufällig als genesen gelten – ihre Freiheitsrechte bzw. Teilnahmerechte am öffentlichen Leben durch invasive, kostspielige und dazu sehr unangenehme Tests fortlaufend erkämpfen müssten. |
| | 4.6.3 | Zu diesem Vorbringen ist zunächst zu bemerken, dass die 3G-Regel keine explizite Benachteiligung von schwangeren Frauen vorsieht. Dies ändert aber nichts daran, dass schwangere Frauen faktisch die Option der Impfung im ersten Schwangerschaftsdrittel nicht haben. Nun sind nach der ständigen Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes zwar keine bloss funktionalen, wohl aber biologische Unterscheidungskriterien zwischen den Geschlechtern im Lichte von Art. 31 Abs. 2 LV zulässig (siehe die Leitentscheidung StGH 1991/014, LES 1993, 73 [76, Erw. 4.4.1] sowie Andreas Kley/Hugo Vogt, Rechtsgleichheit und Grundsatz von Treu und Glauben, a. a. O., 288, Rz. 73 m. w. N.). Die vorliegende Rüge der Antragsteller betrifft nun mit dem faktischen Benachteiligungskriterium der Schwangerschaft einen solchen biologischen Unterschied zwischen den Geschlechtern. Eine solche Unterscheidung stellt nach der erwähnten Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes keine die Menschenwürde tangierende Diskriminierung dar. Sie ist deshalb im Folgenden zusammen mit den anderen geltend gemachten Ungleichbehandlungen nur im Lichte des groben Willkürrasters zu prüfen. |
| | 4.6.4 | Konkret ist zu prüfen, ob das 3G-Regime mit den damit verbundenen Ungleichbehandlungen eine sachlich vertretbare Regelung darstellt bzw. willkürfreie Unterscheidungen zwischen verschiedenen Personengruppen vornimmt. |
| | 4.6.5 | Gemäss den Antragstellern schliesst die Verordnung vom 9. September 2021 nicht genesene, nicht getestete und nicht geimpfte Personen in Verletzung des Gleichheitssatzes von diversen Orten und Veranstaltungen aus. Aber auch innerhalb der Gruppe der Genesenen, Getesteten und Geimpften finde eine Ungleichbehandlung statt, welche sich nicht auf hinreichend vertretbare Gründe stützen lasse. Nicht Geimpfte und nicht Genesene könnten den Zugang zu den diversen Einrichtungen nur durch fortlaufende, körperinvasive Tests (Rachenabstrich) erlangen. Die Regierung habe in diesem Zusammenhang bereits angekündigt, dass die Kosten für die Tests in näherer Zukunft nicht mehr vom Land getragen würden. Diese Personengruppe werde sich ihre Freiheit, am öffentlichen Leben teilzunehmen, fortwährend erkaufen müssen. Dies gelte auch für die Grenzgänger, die für einen Test in Liechtenstein selber aufkommen müssten. Dabei scheine die Geltungsdauer eines Tests, welche immer mal wieder angepasst werde und in den einzelnen Ländern unterschiedlich sei (in Liechtenstein derzeit 72h für einen PCR-Test und 48h für einen Antigentest), völlig willkürlich. Weiters würden Geimpfte und Genesene hinsichtlich der Dauer der Gültigkeit des Zertifikats ungleich behandelt. Während das Zertifikat für Geimpfte derzeit für ein Jahr gelte, gelte jenes der Genesenen derzeit für sechs Monate. Es gebe aber zahlreiche Studien, wonach Genesene z.T. viel mehr Antikörper im Körper aufbauten als Geimpfte und damit der Sechs-Monats-Zeitraum überholt sei. Eine Ungleichbehandlung finde weiters hinsichtlich Personen statt, welche sich aus gesundheitlichen oder psychischen Gründen nicht impfen lassen könnten oder welche nach der ersten Impfung starke Nebenwirkungen hätten. [Als Beleg wird eine anonymisierte ärztliche Bestätigung gelegt.] |
| | 4.6.6 | Hierzu ist unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Regierung Folgendes zu erwägen: |
| | 4.6.6.1 | Hinsichtlich der sachlichen Berechtigung der Ungleichbehandlung der vom 3G-Regime nicht erfassten Personengruppen ist zunächst auf die Erwägungen 5.2 ff. zu verweisen, wonach gewichtige öffentliche Interessen für diese Massnahme sprechen, und weiter auf Erwägungen 4.4 ff., wonach dadurch höchstens ein leichter Eingriff in den sachlichen Geltungsbereich des Grundrechts der persönlichen Freiheit erfolgt und diese Massnahme auch ohne Weiteres – wie in Erwägungen 5.3 ff. ausgeführt – verhältnismässig ist. |
| | 4.6.6.2 | Zum Argument, die Personengruppe der nicht Genesenen und nicht Geimpften müsse sich ihre Freiheit „fortwährend erkaufen“, verweist die Regierung zu Recht darauf, dass die teilweise Beendigung der staatlichen Kostenübernahme für Covid-19-Tests per 1. November 2021 im Gegenzug zum Angebot einer kostenlosen Impfung zumutbar sei. Die Änderung der Kostentragungslast in einer Epidemie, hier vom Steuerzahler zu jenen Personen, die weder geimpft noch genesen seien, falle in den Gestaltungsspielraum des Gesetz- bzw. Verordnungsgebers. Nach wie vor bestehe zudem eine staatliche Kostenübernahme in zahlreichen Fällen: PCR-Test aufgrund von Symptomen; PCR-Nachtestungen aufgrund eines positiven Antigen-Schnelltests oder eines positiven Ergebnisses bei Betriebs- oder Schultests; Tests für Personen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können sowie für schwangere Frauen während der gesamten Dauer der Schwangerschaft; Tests für Kinder vor ihrem 16. Geburtstag; PCR-Tests an symptomlosen Personen, die bis dahin erst eine von zwei vorgesehenen Impfdosen erhalten haben; PCR-Tests, die vom Amt für Gesundheit angeordnet werden. |
| | 4.6.6.3 | Dieser Standpunkt der Regierung zur Handhabung der Kostentragung ist gerade im Lichte des anzuwendenden Willkürrasters ohne Weiteres vertretbar, zumal die Verordnung auch verschiedene Ausnahmen vom Kostentragungsgrundsatz enthält. |
| | 4.6.6.4 | Zur Problematik der Grenzgänger verweist die Regierung ebenfalls durchaus zu Recht darauf, dass sich Grenzgänger auf Testangebote in ihren Heimatländern stützen können. Dem Vorbringen, die Festlegung der Gültigkeitsdauer der Covid-19-Tests sei willkürlich erfolgt, ist zunächst entgegenzuhalten, dass sich solche zeitlichen Vorgaben selbst bei bester wissenschaftlicher Datenlage nie exakt rechtfertigen lassen. Die Regierung betont aber zu Recht, dass diese Gültigkeitsdauer von WHO, ECDC ( European Centre for Disease Prevention and Control) und der Europäischen Kommission empfohlen wurde und dem europäischen Standard entspricht. |
| | 4.6.6.5 | Zur Behauptung der Antragsteller, dass eine Ungleichbehandlung auch Personen treffe, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können, verweist die Regierung auf Art. 11a Abs. 5 Covid-19-Verordnung. Danach wird ein ärztliches Attest, dass eine Person aus medizinischen Gründen weder geimpft noch getestet werden kann, einem Covid-19-Zertifikat gleichgestellt. |
| | 4.6.7 | Schliesslich rügen die Antragsteller eine spezifische Ungleichbehandlung von Restaurants gegenüber Betriebs- bzw. Schulkantinen. Während für Restaurants die 3G-Regel gemäss Art. 4a Abs. 1 der Verordnung gelte, sei dies für Betriebs- und Schulkantinen gemäss Abs. 2 nicht vorgesehen. So würden auch Betreiber von „gewöhnlichen“ Restaurants, welche aufgrund der 3G-Regel allesamt mit Umsatzeinbussen zu kämpfen hätten, gegenüber Betreibern von Betriebs- und Schulkantinen schlechter gestellt. | | Dem hält die Regierung entgegen, dass hier keine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem vorliege, womit das Gebot der Rechtsgleichheit schon gar nicht zur Anwendung komme. Beschäftigte bzw. Schüler seien oftmals auf die im Verhältnis zu Restaurants günstigen Angebote in Betriebs- und Schulkantinen angewiesen. Kantinen unterschieden sich sodann von Restaurants durch den beschränkten Zugang für Gäste. Die Verordnung normiere denn auch eine Beschränkung ausschliesslich auf im betreffenden Betrieb arbeitende Personen bzw. ausschliesslich auf Schüler, Lehrpersonen sowie Angestellte der Schule (Art. 4a Abs. 2 Bst. d). | | Auch diese Differenzierung der Regierung zwischen Kantinen und Restaurants ist aufgrund von deren unterschiedlicher Funktion unter dem groben Willkürraster vertretbar, zumal auch eine gewerbepolitisch motivierte Schlechtersterllungstellung der übrigen Gaststätten gegenüber Kantinen nicht zu erkennen oder beabsichtigt ist. |
| | 4.6.8 | An dieser Stelle ist auch noch auf die im Rahmen der Handels- und Gewerbefreiheit geltend gemachte Ungleichbehandlung unter Gewerbegenossen einzugehen, da diese Rüge der Prüfung im Lichte des genauso betroffenen allgemeinen Gleichheitssatzes vorbehalten worden ist (siehe Erw. 4.2 ff.). | | Die Antragsteller sehen eine faktische Ungleichbehandlung von Konkurrenten darin, dass ein Teil der vom 3G-Regime betroffenen Betriebe keinen Aussenbereich hätten, wo sie „nicht zertifizierte Personen“ empfangen könnten. Ein gewisser Wettbewerbsvorteil der Betriebe mit Aussenbereich ist tatsächlich nicht zu leugnen. Aber wie in den Erwägungen 5.3 ff. noch ausgeführt wird, ist das 3G-Regime eine sachlich begründete, verhältnismässige Regelung, zumal die Ansteckungsgefahr aus wissenschaftlicher Sicht bei Aussenräumen wesentlich kleiner ist als bei geschlossenen Räumen. Entsprechend erweisen sich damit zusammenhängende Unterscheidungen wie diejenige zwischen Innen- und Aussenräumen als zumindest vertretbare Ungleichbehandlungen. |
| | 4.6.9 | Insgesamt verletzt die angefochtene Verordnung und insbesondere die 3G-Regelung den Gleichheitssatz der Verfassung nicht. |
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| | 4.7 | Ebenfalls unter dem Gleichheitssatz rügen die Antragsteller eine Verletzung von Treu und Glauben. Tatsächlich wurde dieser Grundsatz früher auch aus dem Gleichheitssatz abgeleitet, in der neueren Rechtsprechung aber primär aus dem Willkürverbot (siehe StGH 2017/087, Erw. 3.2 [www.gerichtsentscheide.li]; vgl. auch Andreas Kley/Hugo Vogt, Rechtsgleichheit und Grundsatz von Treu und Glauben, in: Kley/Vallender [Hrsg.], Grundrechtspraxis in Liechtenstein, LPS Bd. 52, Schaan 2012, 292 m. w. N.). | | 4.7.1 | Wie die Antragsteller ausführen, bindet der Grundsatz von Treu und Glauben nicht nur die rechtsanwendenden Behörden, sondern auch den Gesetzgeber. In der Regel kann sich der Einzelne bei einer Gesetzesänderung indessen nicht auf Treu und Glauben berufen. Immerhin kann der Gesetzgeber im Lichte des Vertrauensschutzes verpflichtet sein, unter besonderen Umständen eine angemessene Übergangsregelung vorzusehen. Dies ist dann der Fall, wenn die betreffende Person oder Personengruppe durch eine unvorhersehbare Rechtsänderung in schwerwiegender Weise in ihren gestützt auf die bisherige gesetzliche Regelung getätigten Dispositionen getroffen wird und keine Möglichkeit der Anpassung an die neue Rechtslage hat (StGH 2019/008, LES 2020, 1 [5, Erw. 3.1]; StGH 2015/117, Erw. 3.1; StGH 2015/011, Erw. 4.1 [beide www.gerichtsentscheide.li]; siehe auch Andreas Kley/Hugo Vogt, Rechtsgleichheit und Grundsatz von Treu und Glauben, a. a. O., 299, Rz. 98 m. w. N.). |
| | 4.7.2 | Die Antragsteller bringen vor, während der Gesundheitsminister Ende Juli 2021 noch davon gesprochen habe, dass er sich im Zusammenhang mit der 3G-Regel eine „Wahlfreiheit für private Veranstalter“ vorstellen könne, sei kurz darauf eine breite Zertifikatspflicht eingeführt worden. Aufgrund der damit verbundenen Einschränkungen in praktisch allen Lebensbereichen wäre die Regierung verpflichtet gewesen, zumindest eine angemessene Übergangsregelung vorzusehen, aufgrund welcher sich die betroffenen Personen hätten überlegen können, ob sie sich nun doch noch impfen lassen möchten oder wie mit dieser Situation umzugehen sei. Die 3G-Pflicht sei am 9. September 2021 angekündigt worden und sei bereits am 15. September 2021 in Kraft getreten. Selbst wenn man sich nach Ankündigung der 3G-Regel am 9. September gleich für eine Impfung entschieden hätte, hätte man frühestens Mitte Oktober 2021 zwei Impfungen erhalten können. |
| | 4.7.3 | Zu diesem Vorbringen verweist die Regierung auf die erwähnte Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes, wonach eine Übergangsregelung nur in Ausnahmefällen verlangt werden kann, konkret bei der Nichteinhaltung spezifischer behördlicher Zusicherungen und darauf gestützten wesentlichen irreversiblen Dispositionen. Die Regierung erachtet diese Voraussetzungen zu Recht als nicht erfüllt. Aus dem Vorbringen der Antragsteller wird auch nicht klar, ob sie von einer Vertrauensposition der Restaurantbetreiber oder der Restaurantbesucher oder von beiden reden. Jedenfalls kann bei beiden Personengruppen weder von behördlichen Zusicherungen noch von „irreversiblen Dispositionen“ die Rede sein. Solches wird letztlich auch gar nicht behauptet. Wenn sich der zuständige Minister etwas „vorstellen“ kann, wird schon aus der Wortwahl klar, dass da nichts versprochen wurde. Und auch wenn Impfwillige allenfalls etwas zuwarten müssen, bis sie wieder freien Zugang zu Restaurants haben, hat dies nichts mit irreversiblen Dispositionen zu tun. |
| | 4.7.4 | Die angefochtene Verordnung verletzt deshalb auch Treu und Glauben nicht. |
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| | 4.8 | Damit ergibt die Prüfung der einzelnen Grundrechtsrügen folgendes Zwischenergebnis: | | 4.8.1 | Zunächst ist weder der allgemeine noch der Geschlechtergleichheitssatz verletzt. Gleiches gilt für den Grundsatz von Treu und Glauben. Gar nicht tangiert sind die Religionsfreiheit, das Hausrecht, das Verbot unmenschlicher Behandlung sowie die Vermögenserwerbsfreiheit. Nicht primär betroffen und somit auch nicht relevant sind schliesslich die Eigentumsgarantie und die Meinungsfreiheit. |
| | 4.8.2 | Die restlichen als verletzt gerügten Grundrechte, konkret die Handels- und Gewerbefreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Privat- und Geheimsphäre/Datenschutz und das Recht auf persönliche Freiheit, sind in ihrem sachlichen Geltungsbereich tangiert, jedoch liegt nur ein leichter Grundrechtseingriff vor. |
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| 5. | Im Folgenden ist auf die allgemeinen Ausführungen der Antragsteller zu den Grundrechtseingriffskriterien der gesetzlichen Grundlage, des öffentlichen Interesses und der Verhältnismässigkeit einzugehen. | | 5.1 | Zur gesetzlichen Grundlage der Verordnung vom 9. September 2021 ist Folgendes zu erwägen: | | 5.1.1 | Gemäss der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes hängen die Anforderungen, welche an die gesetzliche Grundlage für einen Grundrechtseingriff gestellt werden, von dessen Intensität ab (siehe Hoch, Einheitliche Eingriffskriterien, a. a. O., 184). Wie sich aus den bisherigen Ausführungen ergibt, liegen nur leichte Grundrechtseingriffe vor, soweit die geltend gemachten Grundrechte überhaupt tangiert sind. Die hier relevante gesetzliche Grundlage im schweizerischen Epidemiengesetz genügt den nach der Rechtsprechung entsprechend reduzierten Anforderungen aus folgenden Erwägungen: |
| | 5.1.2 | Gemäss Ingress zur hier zu prüfenden Verordnung vom 9. September 2021 stützt sich diese auf Art. 40 i. V. m. Art. 6 des aufgrund des Zollvertrags in Liechtenstein anwendbaren schweizerischen Epidemiengesetzes (EpG) und auf Art. 65 i. V. m. Art. 49 des Gesundheitsgesetzes (GesG). |
| | 5.1.3 | Auf die im Ingress erwähnten Bestimmungen des Gesundheitsgesetzes ist hier nicht weiter einzugehen, da diese weit weniger spezifisch sind als die Bestimmungen des Epidemiengesetzes. Gemäss Art. 6 Abs. 2 EpG kann der Bundesrat bei einer sogenannten „besonderen Lage“ gemäss Abs. 1 dieser Bestimmung verschiedene Massnahmen anordnen, welche sonst den Kantonen vorbehalten sind, darunter gemäss Abs. 2 Bst. b auch „Massnahmen gegenüber der Bevölkerung“, wie sie in Art. 40 geregelt sind. Gemäss Art. 40 Abs. 1 EpG können die Kantone Massnahmen anordnen, „um die Verbreitung übertragbarer Krankheiten in der Bevölkerung oder in bestimmten Personengruppen zu verhindern“. So können gemäss Abs. 2 insbesondere a) Veranstaltungen verboten oder eingeschränkt, b) Schulen, andere öffentliche Institutionen und private Unternehmen geschlossen oder Vorschriften zum Betrieb verfügt und c) das Betreten und Verlassen bestimmter Gebäude und Gebiete sowie bestimmte Aktivitäten an definierten Orten verboten oder eingeschränkt werden. In Liechtenstein kommen die betreffenden Kompetenzen sowohl des Bundesrats als auch der Kantone jeweils der Regierung zu (vgl. Schiess Rütimann, Zollvertrag, a. a. O., 19). |
| | 5.1.4 | Die Antragsteller führen hierzu aus, in der „Einschränkung“ des Zutritts zu bestimmten Lokalitäten und Veranstaltungen könnte zwar eine Grundlage für die Einführung der Zertifikatspflicht gesehen werden. Dass dieser Zutritt indes von 48-stündlich erfolgenden körperinvasiven Tests oder einer (mRNA-)Impfung abhängig gemacht werden dürfe und dass damit Geimpfte, Genesene, Getestete und Gesunde nach unterschiedlichen Massstäben behandelt werden dürften, lasse sich nur schwerlich auf diese Bestimmung stützen. Eine hinreichende gesetzliche Norm könnte, ja hätte beispielsweise wie folgt zu lauten: „Die Regierung kann den Zugang zu bestimmten Gebäuden, Gebieten und Aktivitäten an definierten Orten vom Nachweis einer Covid-19-Impfung, einer Covid-19-Genesung oder eines Covid-19-Testergebnisses abhängig machen und dabei die Pflicht zur Kontrolle der Zertifizierung den jeweiligen privaten Betreibern oder Organisatoren auferlegen.“ |
| | 5.1.5 | Hierzu ist Folgendes zu erwägen: | | Nach Art. 40 Abs. 2 EpG können verschiedene Aktivitäten der Bevölkerung eingeschränkt oder ganz verboten werden. Dass das Gesetz neben Verboten auch blosse Einschränkungen dieser Aktivitäten vorsieht, ergibt sich auch ohne Weiteres aus dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz. Denn es wäre unverhältnismässig, diese Aktivitäten ganz zu verbieten, wenn es weniger weitgehende Massnahmen gibt, mit denen eine Epidemie mit gleicher oder ähnlicher Aussicht auf Erfolg eingedämmt werden kann. Entgegen dem Vorbringen der Antragsteller kann vom Gesetzgeber auch nicht verlangt werden, dass er die möglichen Einschränkungen dieser Aktivitäten von vornherein normiert, da dies offensichtlich von der Art der Epidemie und dem im Zeitpunkt ihres Ausbruchs verfügbaren medizinischen, technischen und logistischen Instrumentarium abhängt. Der Verordnungsgeber kann dagegen schneller auf den Ausbruch einer Epidemie reagieren und konkrete Massnahmen vorsehen. Wie auch die Regierung in ihrer Stellungnahme zu Recht betont, sind deshalb die Anforderungen an das Legalitätsprinzip gerade in dynamischen Rechtsbereichen wie dem Wirtschaftsrecht (siehe StGH 2008/006, Erw. 3.7 [www.gerichtsentscheide.li]) oder eben im Bereich von Bevölkerungsschutz und der Bekämpfung von Epidemien im Vergleich zu anderen Rechtsbereichen zwangsläufig gelockert. Andererseits ist es auch bei längerer Dauer einer Epidemie nicht zwingend erforderlich, dass Massnahmen, welche auf Verordnungsebene festgelegt wurden, sobald wie möglich in ein Gesetz überführt werden müssen. Allerdings verlangt Art. 40 Abs. 3 EpG als Ausfluss des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes ausdrücklich, dass die angeordneten Massnahmen nur so lange dauern dürfen, „wie es notwendig ist, um die Verbreitung einer übertragbaren Krankheit zu verhindern. Sie sind regelmässig zu überprüfen.“ Tatsächlich sind Massnahmen gerade im Bereich der Epidemienbekämpfung nicht auf Dauer angelegt, selbst wenn sie nicht explizit befristet sind. Entsprechend wichtig ist es auch, dass die Regierung dem Landtag regelmässig Rechenschaft über ihre Verordnungstätigkeit gemäss Epidemiengesetz ablegt bzw. der Landtag dies auch einfordert, was auch weitgehend geschehen ist (vgl. Christian Frommelt/Patricia M. Schiess Rütimann, Die Rolle des Landtages in der Coronapandemie. Kurzbericht. Liechtenstein-Institut, Gamprin-Bendern, November 2021, 7 f. u. 11 f.; siehe aber auch die punktuelle Kritik bei Schiess Rütimann, Zollvertrag, a. a. O., 39). |
| | 5.1.6 | Die Antragsteller argumentieren weiter, das Epidemiengesetz habe in Liechtenstein „nur“ aufgrund des Zollvertrags Geltung. Die beiden liechtensteinischen Souveräne hätten somit keine Möglichkeit, auf das Epidemiengesetz im Sinne von Gesetzesinitiativen, Referenden und Abstimmungen Einfluss zu nehmen, ohne gleich den gesamten Zollvertrag aufzulösen. Dabei sei auch zu bedenken, dass der Landtag bzw. die Regierung seit Beginn der Pandemie vor mehr als eineinhalb Jahren genügend Zeit gehabt hätten, ein eigenes Gesetz zu erlassen. Die zu prüfende Verordnung sei allein aufgrund der Schwere der Grundrechtseingriffe nicht geeignet, eine genügende gesetzliche Grundlage darzustellen. Abgesehen davon fehle ihr im Sinne des verfassungsrechtlichen Legalitätsprinzips nach Art. 92 LV eine Grundlage in einem formellen Gesetz. |
| | 5.1.7 | Die Regierung hält dem in ihrer Stellungnahme Folgendes entgegen: | | Der Landtag habe am 26. Mai 1923 dem Zollvertrag mit der Schweiz einhellig zugestimmt. Damit sei im Sinne von Art. 8 Abs. 2 LV verfassungskonform über Staatshoheitsrechte verfügt worden. So bestimme Art. 4 Abs. 1 ZV, dass in Liechtenstein die Schweizer Bundesgesetzgebung, deren Anwendung der Zollvertrag bedinge, in gleicher Weise Anwendung finde wie in der Schweiz. Dabei sei auch seit jeher die einheitliche Anwendung der Schweizer Epidemiengesetzgebung für notwendig erachtet worden. Dementsprechend sei diese von Anfang an in der Anlage I zum Zollvertrag enthalten. Das Schweizer Epidemienrecht sei damit direkt anwendbares Staatsvertragsrecht, in dessen Rahmen die Regierung gemäss Art. 92 Abs. 2 LV die erforderlichen Verordnungen zu erlassen habe. Das Epidemiengesetz bilde somit eine verfassungsrechtlich hinreichende gesetzliche bzw. staatsvertragliche Grundlage für die Covid-19-Verordnung der Regierung. Zudem bleibe das Letztentscheidungsrecht über die in Liechtenstein geltenden Rechtsvorschriften stets in liechtensteinischer Hand: Zum einen unterliege das Schweizer Recht bei der Aufnahme in die Anlage I zum ZV einer Überprüfung durch die Regierung und dessen Anwendbarkeit könne im Einvernehmen mit der Schweiz eingeschränkt werden. Zum anderen könne das für anwendbar erklärte Schweizer Recht als Staatsvertragsrecht vom Staatsgerichtshof gemäss Art. 22 StGHG auf dessen Verfassungsmässigkeit überprüft und unter Umständen die innerstaatliche Verbindlichkeit aufgehoben werden. |
| | 5.1.8 | Diesen Ausführungen der Regierung ist zuzustimmen. Anzufügen ist zum einen, dass aufgrund der Pandemiesituation der Erlass der Massnahmen in Form eines Covid-Gesetzes die Dringlicherklärung eines solchen Gesetzes erforderlich gemacht und damit gemäss Art. 66 Abs. 1 LV ein Referendum bzw. eine Volksabstimmung verunmöglicht hätte (siehe Christian Frommelt/Patricia M. Schiess Rütimann, a. a. O., 6). Zum anderen schafft nicht nur der Zollvertrag, sondern insbesondere auch der EWR-Vertrag externe Normsetzungskompetenzen, auf welche Liechtenstein nur einen begrenzten Einfluss hat. Es ist aber zu Recht nie infrage gestellt worden, dass auch solche Normen als Grundlage für – allenfalls auch schwere – Grundrechtseingriffe dienen können. Wie die Regierung ausführt, kann die demokratische Legitimation solcher in Liechtenstein aufgrund von Staatsvertragsrecht anwendbarer Normen primär nur aus der ursprünglichen Zustimmung des Landtages zum entsprechenden Staatsvertrag und der Möglichkeit zu deren Aufkündigung abgeleitet werden. Im Übrigen bewirken solche staatsvertraglichen Bindungen gerade für einen Kleinststaat wie Liechtenstein insgesamt keineswegs einen Verlust, sondern letztlich einen Zuwachs an Souveränität. Denn in einer vermeintlichen „splendid isolation“ wäre Liechtenstein wohl gar nicht überlebensfähig, müsste aber jedenfalls die ausländische Rechtsentwicklung im eigenen wirtschaftlichen, aber auch etwa – wie im vorliegenden Fall – gesundheitspolizeilichen Interesse weitestgehend nachvollziehen, ohne irgendeinen Einfluss darauf zu haben. | | Soweit die Antragsteller schliesslich die relativ lange Dauer der Corona-Pandemie ansprechen, ist auf die obigen Erwägungen zu verweisen, wonach es von Verfassungs wegen nicht zwingend erforderlich ist, den Verordnungsinhalt nach einer gewissen Zeit in ein Gesetz zu überführen. |
| | 5.1.9 | Als besonders stossend erachten die Antragsteller im Weiteren, dass die Regierung die Verordnung vom 9. September 2021 – im Gegensatz zu vielen anderen Ländern – nicht befristet habe. Es könne nicht angehen, dass eine Verordnung, die der gesamten Bevölkerung derart einschneidende Massnahmen für das tagtägliche Leben auferlege, einfach unbefristet Gültigkeit habe bzw. haben könne. | | Auch hierzu kann auf die bisherigen Erwägungen verwiesen werden, dass sich nämlich eine implizite Befristung auf die zur Zweckerreichung notwendige Dauer schon aus dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz bzw. aus dessen expliziter Normierung in Art. 40 Abs. 3 EpG ergibt. |
| | 5.1.10 | In diesem Zusammenhang ist auch kurz auf das schweizerische Covid-19-Gesetz (SR 818.102) einzugehen. Nachdem schon die ursprüngliche Fassung dieses Gesetzes im Juni dieses Jahres in einer Volksabstimmung angenommen worden war, wurde Ende November auch eine Änderung dieses Gesetzes vom Volk gutgeheissen. Ähnlich wie die entsprechenden Massnahmen des liechtensteinischen Gesetzgebers (siehe Erw. 5.2.5 f.) beinhaltet das schweizerische Covid-19-Gesetz primär Massnahmen zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie. „[N]icht Gegenstand der beantragten Regelung bilden demgegenüber diejenigen epidemiologischen Massnahmen, die der Bundesrat gestützt auf Artikel 6 EpG … anordnen kann“, da hier nach wie vor kein „Bedarf nach einer besonderen gesetzlichen Grundlage“ bestehe (Botschaft Covid-19-Gesetz, BBl 2020, 6563 [6575]). Die erwähnte Revision des Covid-19-Gesetzes enthält nun entgegen der ursprünglichen Fassung doch auch eine Bestimmung, welche sich mit dem Covid-Zertifikat befasst. Der betreffende Art. 6a (i. d. F. v. BG vom 19. März 2021) regelt „die Anforderungen an den Nachweis“ von 3G. Diese schweizerische Regelung hat keine Entsprechung in einem liechtensteinischen Gesetz. Da es sich hierbei aber um eine direkt der Covid-Eindämmung dienende Vorschrift handelt, ist sie wie das Epidemiengesetz als Zollvertragsmaterie zu qualifizieren und gilt deshalb ebenfalls in Liechtenstein (siehe Christian Frommelt/Patricia M. Schiess Rütimann, a. a. O., 5). Zudem werden gemäss Art. 11a der hier zu prüfenden Verordnung vom 9. September 2021 die liechtensteinischen Zertifikate zum Nachweis von 3G vom Amt für Gesundheit „in Übereinstimmung mit der Verordnung (EU) 2021/953 und der dazu erlassenen Durchführungsrechtsakte“ ausgestellt. Im Gegensatz zur Schweiz ist die in Art. 11a der Verordnung erwähnte EU-Verordnung auch im EWR und somit auch in Liechtenstein anwendbar (siehe hierzu die Kundmachung des betreffenden Beschlusses Nr. 187/2021 des Gemeinsamen EWR-Ausschusses, LGBl. 2021 Nr. 210). Damit verfügt Liechtenstein abgesehen vom schweizerischen Epidemiengesetz und Art. 6a des schweizerischen Covid-19-Gesetzes über eine weitere gesetzliche Grundlage für das Covid-Zertifikat – zwar nicht als vom Landtag verabschiedetes Gesetz, sondern in Form einer völkerrechtlichen Norm, welche aber, wie erwähnt, eine gleichwertige Grundrechtseingriffsvoraussetzung darstellt. Hiervon abgesehen liesse sich das Covid-Zertifikat aber sowohl in der Schweiz als auch in Liechtenstein weiterhin allein auf das Epidemiengesetz abstützen (vgl. Larissa Rhyn, Covid-19-Gesetz: Darum geht es in der zweiten Volksabstimmung, SJZ 117/2021, 1034). Insgesamt ist damit die Rechtslage in Liechtenstein hinsichtlich der gesetzlichen Grundlage für epidemiologischen Massnahmen im Allgemeinen und für das Covid-Zertifikat im Besonderen der schweizerischen Rechtslage zumindest gleichwertig. |
| | 5.1.11 | Die Antragsteller rügen auch spezifisch eine Verletzung des strafrechtlichen Legalitätsprinzips. |
| | 5.1.11.1 | Wie sie zu Recht vorbringen, ist das strafrechtliche Legalitätsprinzip (nulla poena sine lege) durch Art. 33 Abs. 2 LV und Art. 7 EMRK als eigenständiges Grundrecht gewährleistet. Der Grundsatz nulla poena sine lege soll sicherstellen, dass niemand wegen einer Tat verurteilt wird, welche nicht unter einen expliziten gesetzlichen Straftatbestand fällt. Man soll die strafrechtlichen Folgen einer Tat voraussehen können und davor gesichert sein, wegen einer Handlung strafrechtlich belangt zu werden, welche im Ausführungszeitpunkt noch nicht strafbar war (siehe StGH 2020/033, Erw. 4.1; StGH 2015/081, Erw. 7.1; StGH 2015/012, Erw. 9.1; StGH 2013/117, Erw. 3.1 [alle www.gerichtsentscheide.li]; siehe hierzu auch Tobias Michael Wille, Keine Strafe ohne Gesetz, in: Kley/Vallender [Hrsg.], Grundrechtspraxis in Liechtenstein, Schaan 2012, 421 f., Rz. 20). Die gesetzliche Grundlage muss hinsichtlich des Tatbestandes und der Strafe hinlänglich bestimmt sein, braucht aber auch nicht jegliche Details zu enthalten. Dem Grundsatz nulla poena sine lege können auch Strafbestimmungen genügen, deren Tragweite nur im Kontext mit anderen Normen genügend bestimmt ist (StGH 2020/033, Erw. 4.1 und 4.3 [www.gerichtsentscheide.li]). |
| | 5.1.11.2 | Gemäss Art. 12 Abs. 1 Bst. b der Verordnung vom 9. September 2021, so die Antragsteller, werde von der Regierung wegen Übertretung mit Busse bis zu CHF 10'000.00 bestraft, wer die Zertifikatspflicht vorsätzlich verletze. Damit werde der Verstoss gegen eine verordnete Freiheitsbeschränkung mit der Sanktion einer Busse bedroht. Angesichts der Schwere des Eingriffs in die Freiheitsrechte bedürfe auch die entsprechende Sanktion zumindest einer hinreichenden Verweisnorm auf Gesetzesstufe. |
| | 5.1.11.3 | In der antragsgegenständlichen Verordnung selbst werde keine entsprechende gesetzliche Grundlage genannt. Die Strafnorm liesse sich allenfalls auf Art. 83 Abs. 1 Bst. j EpG zurückführen, wonach mit Busse bestraft wird, wer „sich Massnahmen gegenüber der Bevölkerung widersetzt (Art. 40)“. Dass Art. 40 EpG keine genügende gesetzliche Grundlage darstelle, sei schon ausgeführt worden. Überdies könne angesichts der langen Verweiskette von der Blankettnorm des Art. 83 Abs. 1 Bst. j EpG über Art. 40 EpG über den Zollvertrag bis hin zu Art. 12 Abs. 1 Bst. b der antragsgegenständlichen Verordnung nicht mehr von einer hinreichend präzisen Fassung der Strafnorm ausgegangen werden. |
| | 5.1.11.4 | Zu diesem Vorbringen der Antragsteller ist zunächst zu präzisieren, dass der Staatsgerichtshof aus dem strafrechtlichen Legalitätsprinzip nur für Freiheitsstrafen zwingend das Erfordernis einer formellen gesetzlichen Grundlage ableitet. Andere Strafen, wie hier Bussen, können im Rahmen von Gesetz und Verfassung auf Verordnungsstufe geregelt werden. Dabei muss sich die Regelung in der Verordnung auf ein formelles Gesetz stützen lassen und sie muss die Merkmale des strafbaren Verhaltens und die Folgen für jedermann klar erkennen lassen (siehe Tobias Wille, Keine Strafe ohne Gesetz, a. a. O., 415, Rz. 13 mit Verweisen auf StGH 2005/015, Erw. 3 [www.gerichtsentscheide.li]; StGH 2006/018, Erw. 3 sowie für die Schweiz BGE 112 Ia 107 E. 3; BGE 96 I 29 E. 4a; BGE 64 I 375 E. 5). |
| | 5.1.11.5 | Wie schon ausgeführt, ist Art. 40 EpG entgegen dem Vorbringen der Antragsteller sehr wohl als formelle Grundlage für die zu prüfende Verordnung geeignet und somit auch, hier in Verbindung mit Art. 83 Abs. 1 Bst. j EpG, für die Strafnorm Art. 12 Abs. 1 Bst. b der Verordnung. Und dass die Strafnormen im Epidemiengesetz nicht detaillierter ausfallen können als die in diesem Gesetz geregelten Massnahmen, deren Nichteinhaltung sanktioniert werden soll, ist offensichtlich. Entsprechend genügt die Umschreibung des Straftatbestandes in Art. 83 Abs. 1 Bst. j EpG sehr wohl, wonach mit Busse bestraft wird, „wer vorsätzlich […] sich Massnahmen gegenüber der Bevölkerung widersetzt (Art. 40)“. |
| | 5.1.11.6 | Insoweit stellt auch die Verweisungskette im Lichte des strafrechtlichen Legalitätsprinzips kein Hindernis dar. Wie die Regierung in ihrer Stellungnahme ausführt, ist es nach der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes auch nicht zwingend erforderlich, dass Art. 83 Abs. 1 Bst. j EpG im Ingress der Verordnung genannt wird. Tatsächlich verlangt der Staatsgerichtshof nicht, dass sich der Ingress einer Verordnung auf das gesamte materiell einschlägige Recht beziehen muss. Wesentlich ist vielmehr der Hinweis auf jene Normen, die dem verordnungsgebenden Organ (vorliegend der Regierung) die formelle Kompetenz zum Erlass der Verordnung einräumen (StGH 2012/209, Erw. 2.8 [www.gerichtsentscheide.li]). Dies ist hier aber mit dem Hinweis auf Art. 6 und Art. 40 EpG der Fall. |
| | 5.1.12 | Insgesamt können die Antragsteller somit keine Bestimmungen der Verordnung vom 9. September 2021 aufzeigen, die keine genügende formelle gesetzliche Grundlage im schweizerischen Epidemiengesetz haben. |
|
| | 5.2 | Gemäss den Antragstellern gibt es für die in der angefochtenen Verordnung angeordneten Massnahmen aber auch kein genügendes öffentliches Interesse. | | 5.2.1 | Sie führen aus, der Schutz der körperlichen Unversehrtheit als Grundrecht, das Sozialziel der Gesundheitspflege aller Personen (Art. 18 LV) und der Schutz der Bevölkerung bzw. die Förderung der gesamten Volkswohlfahrt (Art. 14 LV) liessen für die von der Regierung verfolgten Ziele zwar grundsätzlich ein öffentliches Interesse erkennen. Allerdings stehe dieses erklärte öffentliche Interesse – die Verhinderung einer Überlastung der Spitäler – diversen weiteren öffentlichen und privaten Interessen gegenüber, welche die Regierung ebenfalls zu wahren habe. Das 3G-Regime bewirke eine offenkundige Spaltung der Gesellschaft. Zudem habe die Regierung die wirtschaftlichen Interessen des Volks zu wahren und in diesem Zusammenhang das Recht auf Arbeit und die Arbeitskraft zu schützen (Art. 14 und 19 LV). Ebenso seien die privaten Interessen von Gewerbetreibenden, Gastronomen, Veranstaltern, Kulturschaffenden usw. betroffen. Das nunmehr rund 18 Monate andauernde Massnahmenregime treibe relevante Teile der liechtensteinischen Wirtschaft zusehends in den finanziellen Ruin. Eine ausreichende Güterabwägung zwischen den Interessen an der Einführung der Zertifikatspflicht und den entgegengesetzten öffentlichen und privaten Interessen finde nicht statt bzw. habe nicht stattgefunden. |
| | 5.2.2 | Dem hält die Regierung entgegen, dass die Verordnung mit den Zielen der Unterbrechung von Übertragungsketten und der Aufrechterhaltung einer ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit Pflege und wichtigen medizinischen Gütern (Art. 1 Abs. 2 Bst. b) gewichtige öffentliche Interessen verfolge, die sich auf das Recht auf Leben (Art. 27ter LV), das öffentliche Gesundheitswesen (Art. 18 LV) und die Volkswohlfahrt (Art. 14 LV) stützen könnten. Sodann stünden hinter der Verordnung noch weitere, implizite öffentliche Interessen, nämlich die Solidarität mit älteren Personen, da der Schutz von deren Gesundheit und die Wiedererlangung von deren Freiheiten von einer möglichst hohen Immunität in der Gesamtbevölkerung abhänge. Dazu komme die Solidarität gegenüber besonders verletzlichen Gruppen, die insbesondere aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden könnten. Ferner das öffentliche Interesse an einer möglichst raschen Beendigung der sozialen und wirtschaftlichen Einschränkungen. Die Verordnung verfolge somit eine ganze Reihe gewichtiger öffentlicher Interessen, die teilweise auch grundrechtliche Schutzpflichten des Staates darstellten (insbesondere das Recht auf Leben gemäss Art. 2 EMRK). |
| | 5.2.3 | Hierzu ist Folgendes zu erwägen: | | Es kann nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden, dass die mit der Verordnung vom 9. September 2021 angeordneten Massnahmen, darunter insbesondere auch die 3G-Vorschrift, gewichtigen öffentlichen Interessen entsprechen. Auch die Antragsteller erwähnen als solche öffentlichen Interessen den grundrechtlichen Schutz der körperlichen Unversehrtheit, das Sozialziel der Gesundheitspflege aller Personen (Art. 18 LV) und den Schutz der Bevölkerung bzw. die Förderung der gesamten Volkswohlfahrt (Art. 14 LV). Anzumerken ist, dass bei dieser Aufzählung öffentlicher Interessen – in Anbetracht der zahlreichen Corona-Toten auch in Liechtenstein – das Recht auf Leben gemäss Art. 27ter Abs. 1 LV und die damit zusammenhängende Schutzpflicht des Staates fehlten, worauf auch die Regierung hinweist. Zu Recht erwähnt die Regierung zudem die Solidarität mit den Älteren und besonders verletzlichen Gruppen. In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass es sich bei Covid um eine hoch ansteckende Krankheit handelt, welche vor Landesgrenzen nicht Halt macht. Aus diesem Grund besteht ein eminentes Interesse des Staates, im Ergebnis zumindest gleich effektive Massnahmen zum Gesundheitsschutz wie die umliegenden Staaten zu ergreifen. |
| | 5.2.4 | Die Antragsteller machen geltend, dass es auch gegenläufige öffentliche und private Interessen gebe und dass keine ausreichende Güterabwägung zwischen diesen Interessen und dem Interesse an der Einführung der Zertifikatspflicht stattgefunden habe. Wie in Erwägung 3.3 ausgeführt worden ist, ist bei gegenläufigen Grundrechtsinteressen – worum es hier wesentlich geht – tatsächlich eine umsichtige Abwägung vorzunehmen, wie sie die Antragsteller postulieren. Diese Abwägung hat indessen sinnvollerweise im Rahmen der Verhältnismässigkeitsprüfung zu erfolgen (siehe StGH 2020/076, Erw. 2.4.7 [www.gerichtsentscheide.li]), weshalb auf die anschliessenden Ausführungen verwiesen werden kann. |
| | 5.2.5 | Hier ist nur vorwegzunehmen, dass von Regierung und Landtag sehr wohl auch Vorkehrungen zur Abfederung der wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Massnahmen getroffen wurden. Ähnlich wie in der Schweiz wurde schon im März 2020 von der Regierung ein spezielles Kurzarbeitsregime eingeführt sowie vom Landtag ein erstes Massnahmenpaket verabschiedet. Letzteres beinhaltete insbesondere das Ausfallgarantiegesetz, welches die unbürokratische Vergabe von Krediten zur Liquiditätssicherung für zahlreiche Betriebe ermöglichte. Der Landtag beschloss in der Folge nicht weniger als vier weitere solche Massnahmenpakete, wobei das Massnahmenpaket 5.0 noch bis Ende Jahr in Kraft ist und mit dem Massnahmenpaket 6.0 die Rechtsgrundlagen im Arbeitslosenversicherungsgesetz für eine Inanspruchnahme Corona-bedingter Kurzarbeitsentschädigung für ein weiteres halbes Jahr bis zum 30. Juni 2022 verlängert wurden (siehe BuA Nr. 44/2021 vom 4. Mai 2021, BuA Nr. 94/2021 vom 2. November 2021 sowie Schiess Rütimann, Schutz von Gesundheit, a. a. O., 4 f.). Vor diesem Hintergrund kann nicht gesagt werden, dass Regierung und Landtag einseitig nur Massnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie im Fokus gehabt und nicht auch deren negative wirtschaftliche Auswirkungen bedacht und entsprechende Massnahmen ergriffen hätten. |
| | 5.2.6 | Die ergriffenen wirtschaftlichen Abfederungsmassnahmen waren wie diejenigen in der Schweiz im internationalen Vergleich insgesamt bekanntlich sehr erfolgreich. Dies konnte allerdings nicht verhindern, dass es in Liechtenstein ähnlich wie im Ausland zu einer schmerzlichen Polarisierung innerhalb der Gesellschaft zwischen Corona-Massnahmen-Befürwortern und -Gegnern gekommen ist (siehe auch Erw. 6). |
| | 5.2.7 | Aufgrund dieser Erwägungen liegt der hier zu prüfenden Verordnung jedenfalls ein gewichtiges öffentliches Interesse zugrunde. |
|
| | 5.3 | Zum Grundrechtseingriffskriterium der Verhältnismässigkeit ist Folgendes zu erwägen: | | Ein Grundrechtseingriff ist verhältnismässig, wenn er geeignet, erforderlich und zumutbar ist. Die Voraussetzung der Geeignetheit der grundrechtseinschränkenden Massnahme bedeutet, dass sie dazu taugt, den angestrebten Erfolg überhaupt zu erzielen. Ob die Massnahme erforderlich ist, hängt unter anderem davon ob, ob es mildere Mittel zur Erreichung des öffentlichen Interesses gibt. Die Zulässigkeit eines Grundrechtseingriffes setzt im Zusammenhang mit der Prüfung der Zumutbarkeit (Verhältnismässigkeit im engeren Sinne) voraus, dass der angestrebte Zweck im konkreten Fall in einem vernünftigen Verhältnis zur vorgesehenen Grundrechtseinschränkung steht (StGH 2015/049, Erw. 4.2.4 [www.gerichtsentscheide.li] mit Verweis auf Wolfram Höfling, Schranken der Grundrechte, in: Andreas Kley/Klaus A. Vallender [Hrsg.], Grundrechtspraxis in Liechtenstein, a. a. O., 104 f., Rz. 43 m. w. N.). |
| | 5.4 | Zunächst ist auf die Geeignetheit der Verordnung vom 9. September 2021, das oben dargestellte, gewichtige öffentliche Interesse zu erreichen, einzugehen. | | 5.4.1 | Unter dem Gesichtspunkt der Geeignetheit führen die Antragsteller unter anderem Folgendes aus: | | Der Bundesrat wie auch die Regierung begründeten ihre Massnahmen damit, dass die Impfung gut vor einer Ansteckung als auch vor einer schweren Erkrankung schütze. Auch würden erkrankte Geimpfte viel weniger häufig andere anstecken. Worauf die Landesregierung diese Begründung stütze, bleibe unklar. Die Begründung der Regierung stehe denn auch im krassen Widerspruch zu einer Vielzahl an Meldungen aus Ländern, in welchen die Impfkampagne früher aufgegleist worden und es nicht nur zu einer Vielzahl an sogenannten „Impfdurchbrüchen“ gekommen sei, sondern sich auch die Intensivstationen wieder mit schwer Erkrankten füllten – und zwar mit doppelt Geimpften. [Die Antragssteller verweisen hierzu auf verschiedene behördliche Publikationen, Medienberichte und andere Quellen.] Die Pharmabranche sehe sich entsprechend mit der unangenehmen Frage konfrontiert, ob sie im Kampf gegen die Pandemie eine Waffe angepriesen habe, deren Wirksamkeit bescheiden oder die gar kontraproduktiv sei. Doch anstatt die eingeschlagene Richtung zu hinterfragen und zu analysieren, presche etwa Israel bereits mit Booster-Impfungen für die gesamte Bevölkerung ab 12 Jahren vor; England und voraussichtlich auch die USA würden folgen. Die Impfung sei damit definitiv kein zuverlässiger Schutz vor Ansteckung – geschweige denn vor einer Weitergabe. Könnten Geimpfte das Virus so gut wie Ungeimpfte übertragen und lägen Hinweise vor, wonach sie im Falle eines Impfdurchbruchs so schwer erkrankten wie Ungeimpfte, gebe es keine Rechtfertigung für eine ungleiche Behandlung geimpfter und ungeimpfter Menschen. Die Einführung der Zertifikatspflicht sei damit ein schlichtweg ungeeignetes Mittel zur Entlastung der Spitäler und sei damit verfassungswidrig. |
| | 5.4.2 | Diesem Vorbringen hält die Regierung Folgendes entgegen: | | Die vorliegende Verordnung beruhe auf belastbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen, die durch die von den Antragstellern vorgelegten, mitunter falsch interpretierten Studien nicht widerlegt werden könnten. Letztere stellten nur bereits Bekanntes unter Beweis, nämlich, dass sich auch geimpfte Personen mit Covid-19 anstecken und dieses Virus auf andere Personen übertragen könnten („Impfdurchbruch“; „Transmission“). Es sei aber wissenschaftlich nachgewiesen, dass die Gefahr, sich anzustecken (auch bei neuen Varianten des Virus), bei Geimpften insgesamt deutlich geringer sei als bei Nicht-Geimpften. Der derzeitige wissenschaftliche Stand gehe sodann davon aus, dass Geimpfte mit einer Covid-19-Infektion deutlich seltener und weniger lange ansteckend seien als nicht Geimpfte. Aktuelle Studien hätten etwa festgestellt, dass voll Geimpfte eine bis zu 73% geringere Chance aufwiesen, das Virus weiterzugeben. Zuletzt sei in einer Studie der Österreichischen Agentur für Ernährungssicherheit eine hohe Effektivität der Impfung nachgewiesen worden. Sodann sei davon auszugehen, dass sich die Schutzrate vor Infektionen mit der dritten Impfung noch einmal deutlich erhöhe. Erst kürzlich habe Swissmedic daher die dritte Impfung für bestimmte Bevölkerungsgruppen genehmigt. Die durch neue Virusvarianten und Zeitlauf abnehmende Effektivität der Impfung vermöge daher ihre grundsätzliche Eignung zur Erreichung der Ziele der Verordnung nicht in Frage zu stellen. Somit stelle die Impfung im Rahmen der 3G-Regel eine geeignete Massnahme zur Erreichung der Ziele der Verordnung dar. Auch die angegebenen Zahlen zur zunehmenden Hospitalisierung von Geimpften führten nicht zum Nachweis einer offenkundigen Ungeeignetheit der Zertifikatspflicht, sie seien vielmehr Folge einer höheren Durchimpfungsrate und statistischer Verzerrungen. Da die Impfung keinen 100%-Schutz biete, werde es mit steigender Anzahl von Geimpften auch mehr Impfdurchbrüche und Hospitalisierungen in dieser Gruppe geben, während sich der Anteil der Ungeimpften verkleinere – obwohl deren Anteil in den Spitälern trotzdem nach wie vor höher sei als bei den Geimpften. Impfstoffe schützten also nach wie vor zuverlässig vor Hospitalisierungen. |
| | 5.4.3 | Diese Ausführungen der Regierung erscheinen dem Staatsgerichtshof plausibel und sie stützen sich auch auf diverse aktuelle wissenschaftliche Publikationen sowie ein wissenschaftliches Update der Swiss National Covid-19 Science Task Force vom 7. September 2021. Somit sind sie offensichtlich im Einklang mit den Ausführungen der zuständigen schweizerischen Behörden. Im Lichte von Erwägung 3.5 besteht folglich für den Staatsgerichtshof kein Anlass, um die Einschätzung der Regierung, dass die von ihr beschlossenen Massnahmen zur Zweckerreichung der Eindämmung von Corona geeignet sind, in Zweifel zu ziehen. Hieran ändert nichts, dass sich auch die Antragsteller, wie erwähnt, ihrerseits auf verschiedene behördliche Publikationen, Medienberichte und andere Quellen berufen. Allerdings entsprechen die von der Regierung dargelegten Befunde, soweit für den Staatsgerichtshof ersichtlich, der weit überwiegenden Wissenschaftsmeinung. |
| | 5.4.4 | Es ist deshalb von der Geeignetheit der in der Verordnung vom 9. September 2021 vorgesehenen Massnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie, insbesondere auch des 3G-Regimes, auszugehen. |
|
| | 5.5 | Weiter hat der Staatsgerichtshof die Erforderlichkeit, also die Frage, ob die mildestmöglichen Mittel ergriffen wurden, zu prüfen. | | 5.5.1 | Hierzu führen die Antragsteller Folgendes aus: |
| | 5.5.1.1 | Als hauptsächliche Begründung für die Einführung der Zertifikatspflicht mit der antragsgegenständlichen Verordnung mache die Regierung geltend, dass eine drohende Überlastung der Intensivstationen bzw. des Gesundheitswesens an sich verhindert werden müsse. Dass sich die Lage im September 2021 demnach dramatischer darstellen würde, als anlässlich früherer Wellen, lasse sich zumindest den statistischen Daten nicht entnehmen. Selbst im November 2020 habe nie eine Triage in den Spitälern stattgefunden und es seien jederzeit Intensivbetten zur Verfügung gestanden. Zudem sei die Anzahl der Intensivbetten unverständlicherweise stetig heruntergefahren worden. |
| | 5.5.1.2 | Fraglich sei weiters, inwieweit die von der Regierung in der antragsgegenständlichen Verordnung getroffenen Massnahmen (insbesondere die 3G-Regel) zum Schutz der breiten Bevölkerung überhaupt erforderlich seien. Die Todesrate sei anfänglich massiv überschätzt worden. Neuere Zahlen zeigten, dass die Bevölkerung bis 65 (bis 70) Jahre von Covid nicht mehr bedroht sei als durch eine (mittelschwere) saisonale Grippe. Kinder und Jugendliche stürben gar eher an einer gewöhnlichen saisonalen Grippe als an Covid. |
| | 5.5.1.3 | Anstelle der Einführung der Zertifikatspflicht für alle sei vielmehr der gezielte Schutz dieses Bevölkerungsteils erforderlich. Eine gezielte Schutzstrategie („Focused Protection Strategy“) würde etwa folgende Massnahmen umfassen: [Es werden verschiedene Massnahmen für ältere Personen in Heimen, zuhause, im Arbeitsprozess sowie in Mehrgenerationensiedlungen beschrieben.] Auch eine gezielte Impfung von (älteren) Risikopatienten mit erprobten Impfstoffen könnte zu so einem Ansatz dazugehören – das Durchimpfen von (gesunden) Kindern erweise sich unter diesem Aspekt indes als völlig unnötig. Zudem wären endlich längst vorhandene medikamentöse Prophylaxis- und Behandlungsprotokolle zu prüfen und zuzulassen. Im Vergleich zu Lockdowns (gesamte Bevölkerung betroffen) und auch im Vergleich zum Covid-Zertifikat (vorab ungeimpfte Bevölkerung betroffen) erweise sich der Ansatz des „gezielten Schutzes“ demnach als mildere und gleichzeitig gar zielführendere Massnahme. |
| | 5.5.2 | Diesem Vorbringen hält die Regierung Folgendes entgegen: |
| | 5.5.2.1 | Was die Auslastung der Intensivstationen in der Schweiz betreffe, so seien für die Erlassung der Verordnung die ansteigenden Zahlen ab August ausschlaggebend gewesen. Zwar möge die Auslastung zwischenzeitig rückläufig gewesen sein, sie zeige aber seit Ende Oktober wieder eine aufsteigende Tendenz. Zudem sei das Nichterreichen der Auslastungsgrenzen zu einem guten Teil auf die Einführung der Zertifikatspflicht zurückzuführen. Im Übrigen nehme die Hospitalisierung von Covid-19-Patienten die medizinischen Kapazitäten in besonderem Masse in Anspruch: Geplante Operationen wie Herzoperationen hätten in der Regel einen Aufenthalt auf der Intensivstation von 1-2 Tagen zur Folge. Intensivpflichtige Coronapatienten müssten jedoch über Wochen beatmet werden. Deswegen müssten Operationen verschoben und Personal aus anderen Bereichen eingesetzt werden. Ziel sei es daher, die Auslastungsgrenze nicht zu erreichen. Umgekehrt könne die Erreichung dieses Ziels nicht zur Begründung der mangelnden Erforderlichkeit der dazu eingesetzten Massnahmen herangezogen werden. Dem Einwand der stetigen Reduktion der Intensivbetten hält die Regierung entgegen, dass dies nicht von Liechtenstein entschieden werde. Zudem gebe es schlichtweg nicht genügend qualifiziertes Personal, um die aufgebaute Bettenkapazität regulär zu versorgen. |
| | 5.5.2.2 | Die Antragsteller gingen sodann in die Irre, wenn sie die Gefährlichkeit des Virus für die Bevölkerung überhaupt in Frage stellten. Die Reduktion in der Letalität des Virus sei auf den medizinischen und wissenschaftlichen Fortschritt und die ergriffenen Massnahmen zurückzuführen. Zurückzuweisen sei daher auch die schon vielfache widerlegte Behauptung, Covid-19 sei nicht gefährlicher als eine Grippe. Covid-19 sei deutlich ansteckender und führe zu deutlich schwereren Symptomen, die überdies länger andauern könnten. Bestimmte Varianten (wie das Delta-Virus) seien besonders gefährlich. Zudem sei in den letzten Monaten die absolute Zahl jüngerer Intensivpatienten wieder angestiegen. Ferner sei seit Langem unbestritten, dass Covid-19 auch für Kinder und junge Erwachsene ein hohes gesundheitliches Risiko darstellen könne. Covid-19 betreffe daher entgegen den Antragstellern nicht nur die ältere Bevölkerung. [Für diese Ausführungen werden verschiedene wissenschaftliche Studien angeführt.] Somit erweise sich auch die von den Antragstellern vorgeschlagene Alternative, die Massnahmen auf ältere Menschen zu fokussieren, als nicht gleich geeignet wie die Zertifikatspflicht. Keine ernstzunehmende wissenschaftliche Studie unterstütze diesen Ansatz. |
| | 5.5.2.3 | Schliesslich beruhe die in der Verordnung vorgesehene Zertifikatspflicht auf der Schweizer Rechtslage und der europäischen Verordnung (EU) 2021/953, der auch für den EWR und damit für Liechtenstein Bedeutung zukomme. Diese Verordnung lege zum Zwecke der Aufrechterhaltung der Freizügigkeit innerhalb des Binnenmarkts einen gemeinsamen Rahmen für die gegenseitige Anerkennung von Covid-19-Zertifikaten fest, der in allen Mitgliedstaaten verbindlich sei und unmittelbar gelte. Es bestehe daher ein erhebliches Interesse an der Kohärenz der für das „Innenverhältnis“ erlassenen Covid-19-Massnahmen mit den entsprechenden Binnenmarktregeln. |
| | 5.5.3 | Hierzu ist Folgendes zu erwägen: | | Auch diese Ausführungen der Regierung erscheinen dem Staatsgerichtshof plausibel und sie stützen sich wiederum auf diverse aktuelle wissenschaftliche Publikationen. Insbesondere leuchtet dem Staatsgerichtshof das Argument ein, dass die Auslastungsgrenze auf den Intensivstationen möglichst nicht erreicht werden darf – und dass der Erfolg dieser Bemühungen nicht umgekehrt zur Begründung der mangelnden Erforderlichkeit der dazu eingesetzten Massnahmen herangezogen werden kann. Zu beachten ist dabei auch, dass eine Verfehlung dieses Ziels letztlich eine sogenannte Triage erforderlich machen würde, also eine Priorisierung unter Patienten, die alle akut einen Platz auf der Intensivstation benötigen würden. Dass die Verhinderung solcher dramatischen und ethisch höchst problematischen Triagen auch weitreichende Massnahmen rechtfertigt, ist evident. Hierbei ist auch zu beachten, dass immer wieder neue Virusvarianten – wie die Delta- und nunmehr die Omicron-Variante – mit jeweils noch höherem Ansteckungspotenzial auftreten und sich dadurch bisherige Prognosen auf einen Schlag als zu optimistisch erweisen können. Aufgrund dieses Ansteckungspotentials kommt es – wie aus dem bisherigen Verlauf der Infektionen ersichtlich – zu einem exponentiellen Wachstum der Anzahl an Covid-Infektionen, sofern keine entsprechen Massnahmen ergriffen werden. Aus diesem Grund wäre es verfehlt, eine Vollbelegung der Intensivstation abzuwarten, bevor weitere Massnahmen ergriffen werden. Wichtig erscheint dem Staatsgerichtshof auch der Hinweis der Regierung, dass die in der Verordnung vom 9. September 2021 geregelte Zertifikatspflicht nicht nur der schweizerischen Rechtslage, sondern auch den Anforderungen der auch im EWR geltenden europäischen Verordnung (EU) 2021/953 entspricht (siehe hierzu auch Erw. 5.1.10). |
| | 5.5.4 | Auch hinsichtlich der Erforderlichkeit sind die Ausführungen der Antragsteller insgesamt nicht dazu geeignet, dass der Staatsgerichtshof die Einschätzung der Regierung in Zweifel zieht. |
|
| | 5.6 | Schliesslich ist vom Staatsgerichtshof zu prüfen, inwiefern die ergriffenen Massnahmen zumutbar sind. | | 5.6.1 | Zur Frage der Zumutbarkeit führen die Antragsteller Folgendes aus: |
| | 5.6.1.1 | Ungeimpfte Personen könnten sich durch Duldung eines Eingriffs in ihre körperliche Unversehrtheit mittels (mRNA-)Impfung von der ebenfalls körperinvasiven Testpflicht befreien und sich so wieder für längere Zeit Zugang zum öffentlichen Leben verschaffen. Angesichts der bereits in mehreren Ländern angelaufenen halbjährlichen Booster-Impfungen sei indes zu erwarten, dass aufgrund der bereits stattgefundenen Impfdurchbrüche bald auch in der Schweiz „Auffrischungen“ nötig würden, um die Gültigkeit des Zertifikats zu verlängern. Dieser latent ausgeübte Druck auf Ungeimpfte zur Vornahme einer Impfung, deren Schutzwirkung zumindest fragwürdig sei, stehe in keinem Verhältnis zu den bereits jetzt bekannten Impffolgen: So seien gemäss swissmedic bis zum 1. September 2021 von insgesamt 19'767 Meldungen über Nebenwirkungen, die in zeitlichem Zusammenhang mit einer Covid-19-Impfung aufgetreten seien, bisher erst 6'603 ausgewertet. Davon seien 32.7 % als schwerwiegend eingestuft worden. Zudem verweise auch swissmedic auf eine Dunkelziffer an Nebenwirkungen. |
| | 5.6.1.2 | Auch im Ausland mehrten sich die Hinweise auf unmittelbare Impffolgen: Per 18. September 2021 seien in der EU für „Covid-19 MRNA Vaccine Moderna (CX-024414)“ insgesamt 117'243 Verdachtsfälle gemeldet worden, für „Covid-19 MRNA Vaccine Biontech (Tozinameran)“ insgesamt 435'779 Verdachtsfälle, für „Covid-19 Vaccine Astrazeneca (CHADOX1 NCOV-19)“ insgesamt 373’285 Verdachtsfälle und für „Covid-19 Vaccine Janssen (AD26.COV2.S)“ insgesamt 27'694 Verdachtsfälle; Tendenz (ausser bei Astrazeneca) steigend. |
| | 5.6.1.3 | In Kalifornien hätten Untersuchungen ergeben, dass bei Teenagern die Wahrscheinlichkeit, an durch den Impfstoff verursachten Herzproblemen zu leiden, sechsmal höher sei als die Wahrscheinlichkeit eines schweren Krankheitsverlaufs. Gleichzeitig lägen zu möglichen Spätfolgen der mRNA-Impfungen noch keinerlei Studien vor. Über potentielle Spätfolgen könne daher im Moment nur spekuliert werden: Thematisiert würden etwa Blutkrankheiten, neurodegenerative Erkrankungen oder Autoimmunerkrankungen (wie ADE). |
| | 5.6.1.4 | Besonders brisant sei auch, dass die Abnahmeverpflichtung bspw. für Corminaty bestehen bleibe, selbst wenn erfolgreiche Heilmittel gegen Covid-19 gefunden würden. Dies erkläre auch, warum viele Regierungen am Therapeutikum „Ivermectin“ zur Behandlung von Covid-Patienten kein Interesse zeigten. Dabei habe sich „Ivermectin“ in mehreren Studien als vielversprechende Früh- und Akutbehandlung herausgestellt, weshalb etwa von der FLCCC bereits seit Mitte 2020 entsprechende Prophylaxe- und Behandlungsprotokolle herausgegeben würden. |
| | 5.6.1.5 | Bei dieser Ausgangslage stellten Gängelungen wie eine alle zwei Tage erfolgende körperinvasive Massnahme zur Teilnahme am öffentlichen Leben eine unverhältnismässige und damit verfassungswidrige Massnahme dar. |
| | 5.6.2 | Diesem Vorbringen hält die Regierung Folgendes entgegen: |
| | 5.6.2.1 | Es sei Ungeimpften gerade im Lichte der steigenden Fallzahlen zumutbar, sich einem Covid-19-Test zu unterziehen, um in den Genuss eines Covid-19-Testzertifikats zu kommen. Die Gültigkeitsdauer dieser Tests (PCR: 72h; Schnelltest zur Fachanwendung: 48h) sei ausreichend, um die Bedürfnisse nach Restaurations-, Kultur-, Sport- und Unterhaltungsleistungen zu befriedigen. In Bereichen des alltäglichen Lebens (z. B. Öffentlicher Verkehr oder Detailhandel) sei die Zertifikatspflicht nicht vorgesehen. Die Gültigkeitsdauer entspreche zudem dem „Schweizer Modell“ und sei daher günstiger als etwa die entsprechenden Regelungen in Österreich. Zudem würden seit dem 16. November 2021 (LGBl. 2021 Nr. 345) Covid-19-Zertifikate auch für Personen ausgestellt, die mit einem aktuellen positiven Antikörpertest (serologischer Test) belegen könnten, dass sie genesen seien und über Antikörper verfügten (Gültigkeitsdauer: 90 Tage). Sodann sei im selben Zuge die Gültigkeitsdauer der Zertifikate für Genesene auf Basis eines PCR-Tests auf 12 Monate verlängert worden. Diese Rechtslage entspreche jener der Schweiz und sei für die Betroffenen günstiger als die Vorgaben in der Europäischen Union. |
| | 5.6.2.2 | Die Zertifikatspflicht bedeute auch keinen Impfzwang, da er auch Genesenen und Getesteten volle Bewegungsfreiheit gewährleiste. Sodann sei die Zertifikatspflicht auf Veranstaltungen und Tätigkeiten beschränkt, die erfahrungsgemäss mit einer hohen Infektionsgefahr einhergingen. Im Gegenzug zur Einführung der Zertifikatspflicht fielen schliesslich die Vorgaben zur Einhaltung von Abstand und die Maskentragepflicht weg. |
| | 5.6.2.3 | Der EGMR habe sogar obligatorische Impfungen unter bestimmten Bedingungen für zulässig erklärt und den Mitgliedstaaten diesfalls einen weiten Ermessenspielraum eingeräumt. Da die Zertifikatspflicht als mildere Massnahme gegenüber einem Impfzwang anzusehen sei, könne davon ausgegangen werden, dass die Zertifikatspflicht EMRK-konform sei. |
| | 5.6.2.4 | Verfehlt sei sodann die Argumentation der Antragsteller mit den Nebenwirkungen der Covid-19-Impfung. Bei jeder Impfung werde der Körper durch eine „Mini-Infektion“ angeregt, Antikörper zu produzieren. Im Verhältnis zu den bis 3. November 2021 über 11 Mio. verabreichten Impfdosen in der Schweiz machten die von den Antragstellern erwähnten „19'767 Meldungen“ nur 0,29%, die schwerwiegenden Verdachtsfälle nur 0,03 % aus. Das entspreche in etwa auch der Lage in anderen Ländern. Der Einwand, dass zu den Spätfolgen der mRNA-Impfung noch keinerlei Studien vorlägen, verfange ebenfalls nicht. Die Impfstoffe würden in wenigen Tagen oder Wochen komplett abgebaut, womit spät auftretende Langzeitfolgen praktisch auszuschliessen seien. Langzeitfolgen, die sich erst Jahre später zeigten, seien bei bisherigen (ähnlichen) Impfungen nicht bekannt. Bisher seien mehr als 7,2 Milliarden Impfdosen weltweit verabreicht worden, seltene Nebenwirkungen könnten somit rasch erkannt werden. Führende Immunologie-Experten schlössen daher weitgehend aus, dass Menschen noch Jahre später als Folge der Covid-19-Impfungen erkranken können. Die von den Antragstellern angeführten Gefahren der Genotoxität und Karzinogenität seien bislang nicht erhoben worden und höchst unwahrscheinlich. Schädlicher erwiesen sich demgegenüber die Langzeitfolgen einer Erkrankung an Covid-19 („Long-Covid“). |
| | 5.6.2.5 | Das von den Antragstellern erwähnte, vorwiegend in der Tiermedizin eingesetzte Entwurmungsmedikament „Ivermectin“ habe demgegenüber keinen wissenschaftlich nachgewiesenen therapeutischen Nutzen. Vielmehr bestehe das Risiko schwerwiegender Toxizität bei unkontrollierter Anwendung. |
| | 5.6.3 | Auch die Ausführungen der Regierung zur Frage der Zumutbarkeit der in der Verordnung vom 9. September 2021 normierten Massnahmen erscheinen dem Staatsgerichtshof fundiert und überzeugend. |
| | 5.6.3.1 | Zunächst ist der Regierung zuzustimmen, dass sogar ein Impfzwang gemäss der EGMR-Rechtsprechung unter gewissen Voraussetzungen EMRK-konform sein kann (EGMR, Vavricka und Andere gg. Tschechien [Grosse Kammer], Nr. 47621/13, Urteil vom 8. April 2021). Dieser Fall betraf allerdings nicht die Covid-Impfung. Im Lichte der Verordnung vom 9. September 2021 kann aber, wie schon ausgeführt, tatsächlich nicht von einem Impfzwang gesprochen werden. |
| | 5.6.3.2 | Der Anteil der Fälle mit Nebenwirkungen der Impfung ist selbst bei Annahme einer beträchtlichen Dunkelziffer sehr klein. Auch ist es legitim zu argumentieren, dass das minimale Risiko von Langzeitfolgen allein schon durch die nachgewiesenen Auswirkungen von Long-Covid aufgewogen wird. Hieran ändert wiederum nichts, dass die Antragsteller auch für ihre Ausführungen zur Zumutbarkeit der in der angefochtenen Verordnung angeordneten Massnahmen auf umfangreiche Quellen verweisen. Immerhin ist anzumerken, dass es sich bei der von den Antragstellern im Zusammenhang mit dem umstrittenen Covid-Medikament „Ivermectin“ nur mit Abkürzung angeführten FLCCC nicht etwa um eine staatliche Gesundheitsinstitution wie die ähnlich lautende amerikanische CDC (Center for Disease Control) handelt, sondern um eine private Organisation namens Front Line Covid-19 Critical Care Alliance. |
| | 5.6.4 | Auch hinsichtlich der Zumutbarkeit können die Ausführungen der Antragsteller die Plausibilität des Standpunktes der Regierung insgesamt nicht in Zweifel ziehen. |
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| | 5.7 | Somit erweisen sich die in der angefochtenen Verordnung vom 9. September 2021 angeordneten Massnahmen als eine sowohl hinsichtlich Geeignetheit, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit verhältnismässige Regelung. |
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| 6. | Insgesamt ist die Verordnung vom 9. September 2021 über die Abänderung der Covid-19-Verordnung, LGBl. 2021 Nr. 285, somit weder verfassungs- noch gesetzeswidrig. Diese Verordnung und insbesondere das darin geregelte 3G-Regime verfügt über eine genügende gesetzliche Grundlage, ist im öffentlichen Interesse und erweist sich auch als verhältnismässig. | | 6.1 | Der Staatsgerichtshof ist sich bewusst, dass viele unter den Antragstellern diesen Befund, insbesondere auch, dass ihnen die Erfüllung einer der Voraussetzungen für den Erhalt eines 3G-Zertifikats zumutbar sei, ihrerseits als „Zumutung“ empfinden werden. Die liechtensteinischen Behörden können aber die vorherrschenden wissenschaftlichen Erkenntnisse und die ausländischen Corona-Massnahmen trotz vehementer Ablehnung durch einen Teil der Bevölkerung nicht ignorieren. Würden sie dies tun, wäre dies sachlich nicht zu rechtfertigen. Zudem wäre es schlicht nicht praktikabel gewesen, wenn sich Liechtenstein nur schon dem teilweise vom „Mainstream“ abweichenden schwedischen Covid-Regime angeschlossen hätte, weil dies von der Schweiz wohl zu Recht als Verstoss gegen die zollvertragliche Verpflichtung, den schweizerischen Massnahmen im Ergebnis entsprechende Corona-Massnahmen zu ergreifen, qualifiziert worden wäre. Wie ausgeführt sind Entscheidungen im hier betroffenen Rechtsbereich der Pandemiebekämpfung zudem wegen den sich gleich in mehrfacher Hinsicht ergebenden Grundrechtskonflikten äusserst komplex. Deshalb und weil einem Gericht auch das nötige Kontrollinstrumentarium fehlt, hat der Staatsgerichtshof der Regierung einen „Einschätzungs- und Prognosespielraum“ einzuräumen. Entsprechend kann der Staatsgerichtshof auch die vorliegende Verordnung vom 9. November 2021 nur eingeschränkt überprüfen (ausführlich hierzu vorne Erw. 3.1 ff.). |
| | 6.2 | Bei Anwendung dieses Prüfungsrasters ist für den Staatsgerichtshof gemäss den obigen Erwägungen nicht ersichtlich, dass die Regierung keine genügend umsichtige Abwägung der verschiedenen involvierten Grundrechtsgarantien und der weiteren öffentlichen und privaten Interessen vorgenommen hätte. Sie hat sich hierbei auf ihr verfügbare in- und ausländische Daten, wissenschaftliche Erkenntnisse und die behördlichen Massnahmen in den Nachbarstaaten, insbesondere in der Schweiz, gestützt. |
| | 6.3 | Wie ebenfalls ausgeführt, besteht für die hier zu prüfende Verordnung und für das darin geregelte 3G-Regime eine genügende gesetzliche Grundlage, wenn auch nicht in Form eines vom Landtag verabschiedeten Gesetzes. Angesichts des teilweise geschwundenen Vertrauens in die staatlichen Institutionen bei Personen, welche die Corona-Massnahmen kritisch betrachten,- ist es aber besonders wichtig, dass die von der Regierung im Verordnungsweg ergriffenen Massnahmen der Öffentlichkeit gegenüber besonders eingehend begründet werden. |
| | 6.4 | Hierbei kommt auch dem Landtag eine wichtige Rolle zu. Wie erwähnt ist es zwar nach Auffassung des Staatsgerichtshofs nicht zwingend erforderlich, dass Verordnungen nach einer gewissen Zeit in ein Gesetz übergeführt werden – auch dann nicht, wenn eine Verordnung, wie im Bereich des Epidemienrechts, auf einer recht grosszügigen gesetzgeberischen Delegation beruht. Gerade dann, wenn eine solche Verordnung wie hier nicht befristet ist, ist es umso wichtiger, dass die Regierung dem Landtag in öffentlicher Sitzung Rechenschaft nicht nur über die Einführung neuer, sondern auch regelmässig über die Notwendigkeit der Weiterdauer bestehender Massnahmen ablegt und dass der Landtag diese Rechenschaftspflicht der Regierung auch einfordert (siehe Erw. 5.1.5). |
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| 7. | Aufgrund dieser Erwägungen ist dem vorliegenden Normenkontrollantrag spruchgemäss keine Folge zu geben. |
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| 8. | Im Kostenpunkt nimmt der Staatsgerichtshof mit der vorliegenden Entscheidung eine Praxisänderung vor. Nach der bisherigen Praxis wurden Normprüfungsanträge nach Art. 20 Abs. 1 Bst. c StGHG im Hinblick auf die Gerichtsgebühren wie Individualbeschwerden behandelt, das heisst im Falle der Stattgebung wurden geltend gemachte Gerichtsgebühren ersetzt, bei Nichtstattgebung wurden die Gerichtsgebühren den Antragstellern auferlegt (StGH 2016/054, Erw. 8; StGH 2015/052, Erw. 8; StGH 2012/209, Erw. 5 [alle www.gerichtsentscheide.li]). In anderen Normprüfungsverfahren, bei welchen üblicherweise Gerichte einen Normprüfungsantrag stellen, wurden hingegen die Gerichtsgebühren unabhängig vom Verfahrensausgang dem Land überbunden mit der Begründung, dass solche Verfahren im Grundsatz allein der Durchsetzung öffentlicher Interessen dienen (StGH 2020/045, Erw. 3; StGH 2020/008, Erw. 6; StGH 2019/097, Erw. 4 [alle www.gerichtsentscheide.li]). Diese Begründung hat aber auch für Verordnungsprüfungsanträge wie im vorliegenden Fall Geltung. Denn im Gegensatz zur Individualbeschwerde gemäss Art. 15 StGHG braucht es für die Antragstellung nach Art. 20 Abs. 1 Bst. c StGHG keine Beschwer. Vor diesem Hintergrund erscheint es dem Staatsgerichtshof sachgerecht, den Antragstellern bei einem Normprüfungsantrag gemäss Art. 20 Abs. 1 Bst. c StGHG wie bei anderen Normprüfungsanträgen ebenfalls unabhängig vom Verfahrensausgang keine Kosten aufzuerlegen. |
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Dieses Urteil ist endgültig. Vaduz, den 7. Dezember 2021 Der Präsident: Dr. Hilmar Hoch |